Politik der Aneignung

Dieser Redebeitrag wurde auf der Demonstration gegen Repression am 18. Dezember 2004 in Freiburg gehalten. Die Antifa Freiburg hat die Repressionswelle gegen linke Strukturen dokumentiert.

Das neue Ausmaß polizeilicher Repression in Freiburg ist für die Betroffenen tragisch und muss allein aus diesem Grund mit allen Mitteln zurückgeschlagen werden. Wir wehren uns dagegen, dass jemand bestraft wird, der oder die für eine andere Gesellschaft kämpft. Aber die Einschüchterungsversuche zeigen auch, dass die Proteste der Freiburger Linken im letzten Jahr nicht wirkungslos geblieben sind: gerade am übertriebenen Verfolgungswillen der Polizei zeigt sich, dass es für das Funktionieren des Staats nicht einerlei ist, wenn Häuser und Parteizentralen besetzt werden oder auf Flugblättern zum Schwarzfahren und Umsonstbaden aufgerufen wird. Wir sind stolz darauf, dass der Staat unsere Politik nicht dulden kann, denn seine Reaktion zeigt, dass wir einen wunden Punkt des Systems getroffen haben: die Eigentumsverhältnisse. Dass alles allen gehört und gesellschaftliche Bedürfnisse wichtiger sind als Geld, ist eben nur im Kommunismus möglich.

Wir hier in Freiburg sind nicht die einzigen, die von Repression betroffen sind, und wir sind auch nicht die einzigen, die Aktionsformen praktizieren, die den Herrschenden nicht gefallen. In allen möglichen Städten haben Leute angefangen, nicht mehr nur brav zu demonstrieren, sondern vom Reden zum Handeln überzugehen. Immer öfter wird am kapitalistischen Heiligtum namens Eigentum gerüttelt. In Hamburg, Berlin, Leipzig, Dresden, Köln und Mannheim haben sich Umsonst-Kampagnen gegründet und wird zum öffentlichen Schwarzfahren, Umsonstbaden oder Gratiskino aufgerufen. In Kassel wurden nach dem letzten Buko-Kongress im Mai Geschäfte wie H&M geplündert und die erbeuteten Sachen unter den PassantInnen verteilt. Das Motto des Kongresses lautete "Aneignung: Das Ende der Bescheidenheit". Worum ging es da? Zunächst ist Aneignung ein negativer Begriff: Jemand nimmt jemandem etwas weg, das ihm eigentlich nicht gehört. Im Kapitalismus heißt das vor allem: was alle angeht und alle brauchen, gehört nur einigen, die anderen müssen dafür bezahlen. Wer kein Geld hat, hat Pech gehabt. Wer sich keinen Fahrschein leisten kann, um zur Uni oder zum Ein-Euro-Job zu fahren, muss laufen oder wird bestraft. Wer kein Geld hat, kann nicht baden gehen. Das Geldprinzip reicht bis weit in die intime Lebensgestaltung hinein: Kino, Kneipe, Kultur, Essen - so ziemlich alles außerhalb des Umsonstladens in der KTS kostet Geld.

Das ist die eine Form von Aneignung: die Waren, die die Gesellschaft kollektiv produziert, werden von Privateigentümern angeeignet. In diesem Sinne hat man früher mal gesagt, dass Eigentum Diebstahl sei. Aber es gibt noch eine andere Form der Aneignung, auch die heißt leider Diebstahl: dass die Gesellschaft sich von den Privateigentümern zurücknimmt, was diese ihnen weggenommen haben. "Expropriation der Expropriateure", heißt das bei Marx: "Enteignung der Enteigner". Diese Politik der Aneignung von unten beendet den menschenunwürdigen Zustand, dass Herkunft, Geschlecht, Klassenzugehörigkeit, Einkommen oder Vermögen über die gesellschaftliche Gestaltungsmacht der Einzelnen entscheiden, und stellt stattdessen einen Zustand her, in dem alle gleichberechtigt über die sie betreffenden Belange entscheiden und am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben können. Das heißt konkret: Was allen gehören soll, wird einfach an alle verteilt. Bis das soweit ist, bleibt Aneignung nicht mehr als ein symbolischer Akt, der aufzeigen soll, dass es auch ohne Eigentum gehen kann, und symbolischer Protest gegen eine Welt, in der alles immer mehr Geld kostet, obwohl die meisten immer weniger davon haben.

Worum es aber auch geht, ist nicht nur, dass wir etwas vom Kuchen abhaben wollen. Wir wollen nicht, dass wir auch mal konsumieren dürfen, sondern wir wollen eine Gesellschaft, in der wir alle gleichberechtigt sind und Geld keine Rolle spielt. Deshalb laufen auch die meisten Umsonst-Kampagnen nicht auf persönliche Bereicherung hinaus, sondern auf Weiterverteilung an Passanten. Wir wollen nicht im kapitalistischen Spiel mitspielen, sondern wir wollen die Spielregeln ändern. Aneignung heißt darum immer auch Aneignung von Lebensverhältnissen und politische Umgestaltung der eigenen Existenz im Interesse der eigenen Existenz. Oder, wie es bei Marx heißt: "der Kommunismus ist die Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl." Aneignung appelliert nicht an den Staat, besser für uns zu sorgen. Aneignung durchbricht die allgemeine Unterwerfung unter Sachzwänge und Recht und Gesetz, und ermächtigt sich selbst, das heißt alle Menschen dieser Gesellschaft, zur Selbstorganisation jenseits von Staat und Kapital. Aneignung ist deshalb auch ein Gegenentwurf zu den staatskonformen Hartz-IV-Protesten und Montagsdemonstrationen. Aneignung heißt, nicht auf parlamentarische Heilsversprechen und neue angebliche Linksparteien zu vertrauen, nicht abzuwarten und um Gnade zu betteln, sondern sich hier und jetzt die Rechte zu nehmen, die allen Menschen zustehen. Und Aneignung geht an die Wurzel des Übels, weil sie nicht irgendein oberflächliches Symptom der falschen Gesellschaft kurieren will, sondern die Ursache des Übels selbst angreift: Die Herrschaft des Privateigentums. Aber das alles ist gerade erst im Entstehen. Vielleicht ist es auch nur eine Modeerscheinung, die bald wieder unmodisch wird. Das wäre ganz im Interesse des Systems, das mit linken Modeerscheinungen bekanntlich ganz gut leben kann, vor allem wenn sie vorbei sind. Aber vielleicht ist das ganze auch mehr als ein Modeerscheinung, nämlich der Anfang einer neuen Art von Politik, die nicht mehr nur redet, analysiert und ihre Meinung kundtut, sondern die Analyse endlich auch in die Tat umsetzt.

Dem Staat jedenfalls ist schon der kleinste Versuch selbstorganisierter linksradikaler Politik ein Versuch zu viel. Den kleinsten Ungehorsam gegen die Fundamente der kapitalistischen Ordnung muss er mit Repression beantworten, damit das Übel der Anarchie nicht um sich greift. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir werden diesen Weg weitergehen. Wir werden ihn so lange weitergehen, bis endlich alles allen gehört.

ALLES FÜR ALLE!