»Walk like an Egyptian«

Warum eigentlich nicht!

Im Dezember 2010 kommt es in Algerien zu massiven Protesten gegen horrende Preissteigerungen von Grundnahrungsmitteln. Gleichzeitig eskalieren auch in Tunesien, in der Stadt Sidi Bouzid, Protestaktionen der Bevölkerung, nachdem sich dort der junge arbeitslose Informatiker Mohamed Bouazizi aus Verzweiflung selbst mit Benzin übergossen und angezündet hat. Die Unruhen weiten sich schnell aus und ergreifen bald die gesamte arabische Welt1. Ob in Ägypten, Libyen, Jordanien, dem Jemen oder sogar den Ölemiraten am Golf: überall die gleichen Bilder von Massendemonstrationen und Straßenschlachten mit der Polizei. Und die Proteste sind sogar, im Gegensatz zu den bisherigen Anti-Krisenprotesten wie etwa gegen die Rentenreform in Frankreich, relativ erfolgreich. Neben späten Eingeständnissen der Machthaber – die Erhöhung von Löhnen, die Senkung von Lebensmittelpreisen oder die Freilassung von politischen Gefangenen – gelingt es den Demonstrierenden in Tunesien und Ägypten ihre Potentaten zu vertreiben. Am 14. Januar 2011 verlässt der tunesische Diktator Zine el-Abidine Ben Ali nach 13 Jahren an der Macht fluchtartig das Land. Nur einem Monat später folgt ihm der ägyptische Staatschef Muhammad Husni Mubarak. Und weitere arabische Gewaltherrscher könnten noch folgen. So konnte sich etwa vor einigen Wochen noch niemand vorstellen, dass die Macht des sog. Revolutionsführer Muammmar al-Gaddafi ins Wanken geraten würde. Doch noch hält sich dieser mit brutaler Gewalt an der Macht und stürzt das Land in den Bürgerkrieg. Ausgang ungewiss.

Der arabische Aufstand und die Weltwirtschaftskrise

Woher kommt dieser plötzliche Aufstand, der anscheinend die ganze Welt überrascht hat? Schließlich zeigten uns die Medien bis dato aus der arabischen Welt immer nur aufgepeitschte Menschenmengen, die Israel- oder Amerikafahnen verbrannten und als bedrohliche Masse den Westen in Angst und Schrecken versetzten. Und nun organisieren sich diese Menschen kollektiv, fordern ihre Freiheit und vertreiben Despoten. Kommt das alles quasi aus dem nichts? Wohl kaum. Bereits kurz nach dem Ausbruch der aktuellen Phase der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 kam es zu weltweiten Nahrungsmittelunruhen, in deren Verlauf Hunderte von Menschen ums Leben kamen. Ein Zentrum der Unruhen war bereits Nordafrika gewesen. Ausgelöst wurden die Unruhen damals durch den dramatischen Anstieg der Rohstoffpreise, so daß sich die Grundnahrungsmittel massiv verteuerten. Eine Ursache für die höheren Preise war und ist die Tatsache, dass das Kapital aufgrund seiner Verwertungskrise in den »sicheren Hafen« der Rohstoffe investiert. Bisherige Anlagemöglichkeiten, wie etwa Immobilien und Finanzprodukte sind durch die Krise ausgefallen und da das Kapital bei Strafe des eigenen Untergangs gezwungen ist, sich zu verwerten, bieten sich – wie in jeder Krise – Rohstoffe an. Doch dies hat für Milliarden Menschen existenzbedrohende Folgen, die sich bereits 2007/2008 in sog. Food-Riots entluden. Bei den damaligen Protesten wurden die Grundlagen für den jetzigen Erfolg der Aufstände, etwa in Ägypten und Tunesien gelegt. Große Streiks in der ägyptischen Textil- und der tunesischen Schwerindustrie und das Entstehen von Solidaritätskomitees bildeten die Basisstrukturen, auf denen die heutigen Revolten aufbauen konnten. In Ägypten war dies etwa die Facebook-Gruppe »6.April«, die von UnterstützerInnen der streikenden TextilarbeiterInnen gegründet wurde und bei der Organisierung der jetzigen Proteste wieder eine bedeutende Rolle spielte.

Was hat der arabische Aufstand mit uns zu tun?

Die Menschen in der arabischen Welt haben die ersten Meldungen über Unruhen in Tunesien und Algerien sofort verstanden und konnten sich darin wiederfinden. Ob in Mauretanien oder im Jemen, die Menschen kämpfen für die gleichen Ziele und erkennen darin einen Kampf. Doch eine globale Ausweitung der Aufstände ist bisher unterblieben. Nur im Iran blitzen die Proteste, die die Regierung nach den gefälschten Wahlen 2009 brutal niedergeschlagen hatte, wieder auf und in China kommt es zu virtuellen Protesten gegen die Machthaber. Aber warum bleibt es in Europa so ruhig? Ist die Situation der Jugend hier so anders als in der arabischen Welt? Einerseits natürlich ja, politische Freiheiten werden anderswo brutaler unterdrückt und der Lebensstandard ist deutlich elender als in Europa. Aber andererseits wird auch in Europa die Situation gerade für die junge Generation immer unerträglicher. Massive Angriffe auf Arbeiterinnen und Arbeiter folgten der Krise auf den Fuß. Dabei werden unsere Arbeits- und Lebensverhältnisse schon seit Jahren immer unsicherer. Ob Leiharbeit, befristete Jobs, die »Generation Praktikum« oder Rentenkürzungen. Jede und jeder muss nur noch schauen wie sie oder er über die Runden kommt2. Laut der »Hans-Böckler-Stiftung« sind 2007 bereits 40% der jungen Erwachsenen gezwungen, bei ihrem Berufseinstieg in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu arbeiten. Und seitdem wurde es nicht besser! Einzelne Aufstände in den letzten Jahren, etwa in den französischen Vorstädten oder der Dezemberaufstand 2008 in Griechenland zeigten schon, daß auch hier die Wut auf die Verhältnisse groß ist. Doch blieben sie vereinzelt und konnten deshalb nicht erfolgreich sein.

Nehmen wir uns ein Beispiel an den Menschen in Tunesien, in Ägypten, im Iran und erkämpfen wir endlich eine Gesellschaft, in der ein gutes Leben für uns alle möglich ist. In der niemand mehr gezwungen sein wird zu hungern oder sich ausbeuten zu lassen. In der die Freiheit der anderen die Notwendigkeit unserer eigenen Freiheit ist.

La Banda Vaga, März 2011