Von der Krise zum Zusammenbruch des Kapitals?

Diskussionsbeitrag zur Podiumsdiskussion über die globale Krise

Vorbemerkung:
Bei dem folgenden Text handelt es sich um eine erweiterte und überarbeitete Fassung eines Vortrags, den wir bei der Podiumsdiskussion „Von der Krise zum Zusammenbruch des Kapitals?“ am 13. Mai 2009 im Rahmen des „jour fixe“ der „Initiative Sozialistisches Forum“ (ISF) in Freiburg gehalten haben. Neben unserer Gruppe nahmen noch Joachim Bruhn (ISF, Freiburg), Lothar Galow-Bergemann (Gruppe „Emanzipation und Frieden“, Stuttgart) und als Moderator Christian Stock (Informationszentrum 3. Welt, Freiburg) daran teil.

Von der Krise zum Zusammenbruch des Kapitals?

In der Diskussion tauchen immer wieder folgende Erklärungsmuster als scheinbare Begründungen für die Krise auf:

• Die Krise sei eine Finanzkrise
• Die Gier vorwiegend amerikanischer Banker und Spekulanten sei die Ursache der Krise
• (sehr beliebt in linken Kreisen ist) Der Neoliberalismus sei die Ursache der Krise und nun augenscheinlich gescheitert
• Die Krise sei letztes Jahr mit dem Platzen der US-Immobilienblase ausgelöst worden
• Die Krise könne durch mehr staatliche Regulation überwunden werden

Im Folgenden soll kurz gezeigt werden, dass all diese Annahmen falsch sind.

Der Beginn der heutigen Krise liegt bereits in den siebziger Jahren, als der Nachkriegszyklus, der bestimmt war durch die drei Ismen: Fordismus, Keynesianismus und Taylorismus, endete. Dieser Boom der fünfziger bis siebziger Jahre, der auch das Ergebnis der auf die Krise der dreißiger Jahre folgenden Krisenlösung Weltkrieg war, basierte in erster Linie auf der Befriedigung des Massenkonsums der Bevölkerung in den Metropolen. Wirtschaftszweige wie die Haushaltsgeräteindustrie, die Unterhaltungselektronik (v. a. Fernseher) oder der Massentourismus, man denke nur an die ersten Italienurlaube der Deutschen führen dazu dass immer größere Bereiche der Gesellschaft für die Kapitalverwertung erschlossen werden. Im Zentrum dieses Massenkonsums steht als Symbol dieser Epoche die Massenmotorisierung. Das eigene Auto wird vom bizarren Hobby einiger Supereicher endgültig zum Konsumgut für Jedermann. Diese massenhafte Ausweitung der Produktion für den allgemeinen Konsum führt, trotz des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu Vollbeschäftigung bzw. sogar zu einem Arbeitskräftemangel der durch sog. Gastarbeiter ausgeglichen werden muss. Dieses „goldene Zeitalter“, wie es der marxistische Historiker Eric Hobsbawn bezeichnet hat, endet Anfang/Mitte der siebziger Jahre in einer großen Weltwirtschaftskrise, die schon die Grundlagen für die heutigen Entwicklungen gelegt hat. Die Gründe für diese oft mit dem Lieferboykott der OPEC-Staaten in Verbindung gebrachten Krise der siebziger Jahre (Stichwort: Ölschock), sind einerseits die abgeschlossene Erschließung der inneren Märkte, inzwischen besitzt (fast) jeder in den Metropolen einen Fernseher, ein Auto, eine Waschmaschine usw., andererseits die rasante Produktivitätssteigerung. War es zwischen 1950 und 1970 noch möglich diese Produktivitätssteigerungen durch die Neuerschließung des Massenkonsums zu kompensieren und für Vollbeschäftigung zu sorgen, kehrt Mitte der Siebziger das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit auch ins Zentrum des kapitalistischen Weltsystems zurück. Und ist seitdem nicht mehr verschwunden! Hinzukommen seit Mitte der sechziger Jahre noch massive Kämpfe der Proletarisierten die sich einen zunehmenden Anteil am erwirtschafteten Mehrwert erstreiten. (Stichwort. 68er Revolte) Die Reaktionen auf diese Krise erstrecken sich auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft und dauern bis heute an:

• Erstens kommt es zu massiven Angriffen auf den Lebensstandart der Proletarisierten; sinkende Löhne, Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, Abwälzung aller Risiken auf den Rücken der Lohnabhängigen usw. Am anschaulichsten ist diese Entwicklung in Großbritannien zu beobachten, wo die „Eiserne Lady“ Margrete Thatcher die Macht der Gewerkschaften bricht und die „englische Krankheit“, die ständigen Streiks, weitgehend beendet. Auch in den USA, begonnen unter der Präsidentschaft Ronald Reagans, verschlechtern sich die Lebens- und Arbeitsbedingung der Massen. Als Ergebnis dieser Entwicklung verdienen heute die Lohnabhängigen dort faktisch weniger als 1973. Mit dieser Strategie gelingt es zumindest zeitweise die sinkende Profitrate durch eine Erhöhung der Mehrwertsrate zu sanieren und damit die Krisenfolgen auf den Rücken der Lohnabhängigen abzuwälzen.

• Zweitens werden fast alle Bereiche der unmittelbaren Verwertung des Marktes unterworfen. Bisher staatlich regulierte Sektoren der Ökonomie, die unter anderem der Aufrechterhaltung des (momentan vieldiskutierten) sozialen Friedens dienten werden privatisiert. Der Neoliberalismus ist also selber schon als Krisenlösungsstrategie zu verstehen und nicht als Grund der Krise, wie uns dies die staatsgläubige Linke weismachen will.

• Drittens weitet das nach Verwertung suchende Kapital, dass sich in der Produktion nicht mehr optimal verwerten kann, den Finanzsektor massiv aus, es kommt zur sog. Finanzialisierung der Kapitals.

Warum sich das Kapital in der Produktion nicht mehr optimal verwerten kann, wurde bereits oben angedeutet: Einerseits sind die inneren Märkte erschöpft und andererseits führt die Nutzung neuer Technologien (vor allem Computertechnologie) und die damit verbundenen immensen Produktivitätssteigerungen dazu, dass immer mehr Waren in immer kürzerer Zeit durch immer weniger Arbeitskräfte hergestellt werden können. Als Beispiel sei hier ein Zitat aus der „Zeit“ vom 16.10.2008 angeführt, dass diese Entwicklung anhand der Leitindustrie Fahrzeugbau veranschaulicht: „Die Crux an der Situation: Selbst wenn die deutschen Hersteller die Verkäufe ihrer Fahrzeuge konstant halten können, wächst mit jedem neuen Modell der Druck auf die Arbeitsplätze. Die Produktivität beim Wechsel von Golf V auf Golf VI sei in Wolfsburg um mehr als 10 Prozent und in Zwickau sogar um mehr als 15 Prozent gestiegen, verriet ein stolzer VW-Chef Winterkorn bei der Präsentation der Neuauflage des wichtigsten Konzernfahrzeugs. Das bedeutet, dass für die Montage der gleichen Zahl von Autos 15 Prozent weniger Leute nötig sind. Wenn also vom Golf VI nicht entsprechend mehr abgesetzt wird, sind Jobs in Gefahr. Genauso läuft es bei den neuen Modellen von BMW, Mercedes oder Opel. Teilweise werden dort Produktivitätssprünge von 20 Prozent erzielt.“ Nach Angaben des bürgerlichen Ökonomen Jeremy Rifkin gingen zwischen 1995 und 2002 in den 20 größten Volkswirtschaften der Welt über 35 Millionen Jobs verloren und das obwohl gleichzeitig die Industrieproduktion der Welt um 30 Prozent anstieg. Das bedeutet, dass die Krise des kapitalistischen Systems eine Krise des Überflusses ist. Weil diese Produktionsweise in der Lage ist, immer mehr Güter (die in der kapitalistischen Form als Waren produziert werden) mit immer weniger menschlichem Arbeitsaufwand herzustellen, stürzt die gesamte Gesellschaft in die Krise. Dies führt die Irrationalität der herrschenden Wirtschaftsweise handgreiflich vor Augen: Nicht weil zu wenig Lebensmittel, Gebrauchs- und Luxusgüter hergestellt werden können, wie in früheren Gesellschaftsformationen, droht das System in den Abgrund zu stürzen, sondern das genaue Gegenteil ist die Ursache. Doch durch diese Entwicklung entzieht sich das Kapital selbst seiner eigenen Grundlage. Denn die Quelle des Mehrwerts bildet auch weiterhin nur die im Produktionsprozess verausgabte Lohnarbeit, doch diese wird tendenziell durch die Entwicklung der Produktivkräfte immer überflüssiger. Es bestätigt sich also was Marx im dritten Band des Kapitals geschrieben hat: „Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapitals selbst.“ Das Kapital versucht nun diese Entwicklung durch die bereits erwähnte Finanzialisierung, also die Flucht in die Finanzmärkte und damit die Generierung fiktiven Kapitals zu umgehen. Dies hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als das wichtigste Mittel gegen die Stagnation in der Produktion und der Investitionstätigkeit erwiesen. Statistisch belegen lässt sich dies unter anderem anhand der Entwicklung des Verhältnisses von Gesamtumsatz der US-Finanzmärkte zum Bruttonationaleinkommen der Vereinigten Staaten. Entsprach das amerikanische BSP 1960 noch 66,2 Prozent aller Umsätze der US-Finanzmärkte, so waren es im Jahr 2000 nur noch 1,9 Prozent! Dies verdeutlicht die enorme Ausweitung des Finanzsektors als Folge der Krise der Produktion. Doch damit lässt die Krise nur aufschieben und nicht beheben. Denn trotz der massiven Ausweitung dieser „Bubble-Ökonomie“ bleibt die Entwicklung krisenhaft. Alle paar Jahre erschüttern Krisen die Weltwirtschaft:

• 1987 Börsenkrach
• 1990 Zusammenbruch der Junk Bonds und Krise der US-Sparkassen
• 1994 Verfall der US-Staatsobligationen
• 1995 Tequilakrise
• 1997 Asienkrise
• 1998 Rubel-Krise und Brasilien-Krise
• 2001 Platzen der „New-Economy-Blase“.

Doch all diese Krisen bleiben regional oder sektoral begrenzt. Dies ist der Unterschied zum jetzigen Krisenverlauf. Nun hat es weltweit alle Bereiche der Kapitalakkumulation getroffen. Die Krise der Produktion ist nun also auch im Finanzsektor angekommen, und dies synchron auf der ganzen Welt. Aufgrund dieser Dramatik ist es momentan reine Spekulation, ob es den staatlichen Krisenmanagern mit ihren Billionen-Beträgen gelingen wird eine neue Blase zu generieren und damit die eigentlich auf der Tagesordnung stehende Zusammenbruchskrise des Kapitals erneut aufzuschieben. Doch eines wissen wir sicher: Von alleine wird sich nichts zum Besseren wenden. Ohne die bewusste Tat der übergroßen Mehrheit der Menschheit wird ein Zusammenbruch der kapitalistischen Produktionsweise eher zur globalen Barbarei als zu einer emanzipatorischen Gesellschaft führen. Es bedarf der „selbständigen Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl um dieses Ziel zu erreichen. Dies formulierte der holländische Rätekommunist Anton Pannekoek 1934, in der damals heftigsten Weltwirtschaftskrise, folgendermaßen:

Die Selbstbefreiung des Proletariats ist der Zusammenbruch des Kapitalismus!