1997

Uns stinkt\'s!!

02.12.1997

Wir dokumentieren hier ein Flugblatt von GewerbeschülerInnen, das diese beim Studistreik 1997 verteilt hatten.

Alle, die den Mund aufzumachen haben, sollen das tun!

Die Medien berichten ununterbrochen von den Protesten der Studis. Von uns ist nie die Rede. Um eins klarzustellen: uns ist die Verschärfung der Studienbedingungen erst mal scheißegal. Den Studis fehlen die neuen Bücher? Uns hat man nie beigebracht, sie richtig zu lesen. Die Studis protestieren dagegen, daß sie ihre Lehrerausbildung nicht zu Ende machen können, daß das ihre Lebensperspektive zerstört? Unsere ist schon lange im Eimer. Wir haben einen Hauptschulabschluß, manchmal einen Realschulabschluß. Wir sind also nie zu höherer Bildung gekommen. Das Schulsystem weist uns die schlechten Plätze in der Gesellschaft zu. Nicht mal Arbeiter dürfen wir mehr immer werden und selbst das ist beschissen genug! Unsere Eltern haben das erworben, was man \"bescheidenen Wohlstand\" nennt. Uns bleibt wahrscheinlich nicht viel mehr als häufige Arbeitslosigkeit. So eine Lebensperspektive ist ganz schön beschissen.

Auch viele Studis sind nach dem Studium immer öfter arbeitslos und müssen während ihres Studiums für miese Löhne jobben. Jetzt jammern sie darüber und fordern mehr Bafög. Aber sie vergessen dabei, daß Realschüler, Hauptschüler und Sonderschüler heute oft nicht einmal eine Lehrstelle finden. Wir träumen so gut wie sie vom guten Leben! Wir haben keinen Bock zu arbeiten! Wir haben kein Bock, Industriekaufmann, Jungarbeiter und Friseurin zu sein. Wir wollen nicht immer Rechnungsabschlüsse machen und immer irgendwelche fettigen Haare schneiden und dafür so wenig Geld bekommen, daß wir meist noch bei unseren Eltern wohnen müssen. Wir sind nicht dümmer als die Studis!

Die Studenten sagen uns später, was wir zu tun haben. Lehrer, die auch mal studiert haben, haben uns irgendwann einmal auf die Realschule oder die Hauptschule geschickt. Damit waren wir ausgegrenzt. Damit war klar, daß wir zu den 50% der Menschen in Deutschland gehören, die gerade 1% des Reichtums besitzen und dafür verdammt viel schuften müssen.

Wenn die Studis also nicht mehr wollen, als wieder die besseren Plätze in der Gesellschaft, dann sollen sie uns bloß vom Hals bleiben. Wenn sie aber wirklich Bildung für alle wollen wie sie sagen, dann sollen sie daran denken, daß man das Schulsystem wie es jetzt ist abschaffen muß. Wir sind nicht dümmer als sie, sie hatten nur gebildetere und reichere Eltern!

Bildung für alle heißt, daß es in Zukunft keine Sonderschüler, Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten mehr geben darf.

Bildung für alle heißt, daß auch Friseurinnen, Industriekaufmänner, Jungarbeiter, usw. an die Uni dürfen.

Bildung für alle heißt, daß alle so wenig arbeiten müssen, daß sie Zeit haben zu lernen!

Bildung für alle heißt, daß alle genug Geld für Bücher haben!

Schüler und Schülerinnen der Max-Weber-Schule, der Friedrich-Weinbrenner-Gewerbeschule und der Gertrud-Luckner-Gewerbeschule.\ [Verteilt während des Studistreiks 1997]