2017

Vortrag in München: 10 Thesen zum Islamismus

04.12.2017

Vortrag von uns am 07.12.2017 im Antifa-Cafe im Kafe Marat in der Thalkirchnerstraße 102 in München Beginn: 20 Uhr / Vortrag: 21 Uhr:

La Banda Vaga zu den materiellen und historischen Grundlagen des Islamismus.

Der Islamismus ist ohne Frage eines der zentralen Themen der Gegenwart. Die journalistische und wissenschaftliche Flut an Interpretationen und Theorien ist kaum noch zu überschauen, lediglich brauchbare materialistische Analysen tauchen wenn überhaupt nur vereinzelt auf. Dies führt, auch unter Linken, nicht selten zu katastrophalen politischen Einschätzungen: Für die einen sind zumindest bestimmte islamistische Gruppierungen Ausdruck eines berechtigten antiimperialistischen Widerstandes, andere wiederum wollen dem Islamismus im Schulterschluss mit Staat und Militär mit „westlichen Werten" entgegentreten. Beides ist unserer Ansicht nach verfehlt. Darum haben wir den Versuch unternommen, uns dem Phänomen mit einigen Thesen über die materiellen und historischen Grundlagen des Islamismus sowie zu den daraus resultierenden politischen Konsequenzen anzunähern. Diese Thesen, die im neuen Kosmoprolet #5 erscheinen, würden wir gerne mit euch diskutieren.

Vortrag: Materialistische Staatskritik

14.11.2017

Vortrag mit Moritz Zeiler am 24.11.2017 um 20 Uh im Übungsraum 1, Kollegiengebäude IV der Universität Freiburg (Rempartstraße 15)

Die Analysen des Staates gehen in der Linken weit auseinander. Das Spektrum der Interpretationen reicht von der Idealisierung bis zur Dämonisierung, von der Übernahme des Staates bis zu seiner Abschaffung. Während der Staat für die einen als Garant des Allgemeinwohls gilt, betrachten ihn andere als das Instrument der kapitalistischen Klassenherrschaft und wieder andere sehen in ihm das Terrain sozialer Kämpfe. Unser Referent Moritz Zeiler stellt in seinem Vortrag die zentralen Thesen marxistischer Theorie zum Staat vor. Besonderes Augenmerk wird er dabei auf die die Analysen des sowjetischen Marxisten Eugen Paschukanis zum Verhältnis von Warenform, Rechtsform und Staatsform und später daran anknüpfende Arbeiten von Johannes Agnoli, Joachim Hirsch und John Holloway legen.

Moritz Zeiler hat 2017 in der Reihe theorie.org den Band „Materialistische Staatskritik. Eine Einführung" veröffentlicht.

Rechtspopulismus -- Konformistische Rebellion der verunsicherten Mitte

03.11.2017

Vortrag mit Jens Benicke im Rahmen der 20 Jahre La Banda Vaga - Geburtstagfeier am 11.11.2017 um 20 Uhr im Freizeichen in der Haslacherstr. 43.

In den letzten Jahren haben sog. rechtspopulistische Parteien und Bewegungen einen scheinbar unaufhaltbaren Aufstieg erlebt. In zahlreichen Ländern, wie Russland, Ungarn, Polen, der Türkei und den USA konnten sie die Regierung übernehmen. In Frankreich und den Niederlanden wurde dies nur knapp verfehlt. Großbritannien wurde durch eine aggressive Kampagne gegen Migrantinnen und Migranten in den Austritt aus der EU getrieben und auch hierzulande können die sog. „Alternative für Deutschland" und PEGIDA die öffentliche Debatte über Flucht und Migration bestimmen und die etablierten Parteien vor sich hertreiben. Doch wie lässt sich diese globale autoritäre Entwicklung analytisch fassen? Ist der Begriff des Rechtspopulismus dafür überhaupt tauglich? Oder verharmlost er diese Erscheinungen? Müsste nicht eher von Autoritarismus, Rechtsextremismus oder gar Faschismus gesprochen werden? Ziel des Vortrages ist es, einige Erklärungen für den aktuellen Erfolg des Rechtspopulismus zu liefern. Dabei soll gezeigt werden, welche Bedeutung die globale Krise für den Vormarsch der rechten Parteien und Bewegungen hat. Denn die durch die Krise ausgelösten Abstiegsängste und Unsicherheiten setzen in der „verunsicherten Mitte" der Gesellschaft ein autoritäres Potenzial frei, das die Basis bildet für den Aufstieg des Rechtspopulismus. Unter Rückgriff auf die Theorie des autoritären Charakters soll aufgezeigt werden, wie die bislang unterdrückten und nur im privaten Umfeld geäußerten Ressentiments nun öffentlich artikuliert werden können. Aus dem Meckern am Stammtisch wird so eine konformistische Rebellion der autoritären Persönlichkeiten auf den öffentlichen Plätzen, in der Wahlkabine und im Parlament.

Es spricht Jens Benicke, von dem 2016 die 2. Auflage von Autorität & Charakter bei Springer VS erschienen ist.

20 Jahre La Banda Vaga - Geburtstagsparty

03.11.2017

Am 11.11.2017 feiert La Banda Vaga seinen 20. Geburtstag im Freizeichen (ex-Schmitz Katze) in der Haslacher Str. 43

Um 20 Uhr geht es los mit einem Vortrag zum Thema: Rechtspopulismus - Konformistische Rebellion der verunsicherten Mitte mit Jens Benicke.

Ab 22:00 spielen die beiden Bands scheissediebullen (deutschmichnichtvollpunk) und Lobster Lobster (Pioniere des Krustentier-Pop)

Ab 00:30 legen dann folgende Djanes auf: Hubert Terror (Punk/80er-Gassenhauer; München), Effy Briest (Future Bass; Strassburg) und Stroboskop Polizei (House; Berlin)

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Vortrag auf dem Action, Mond & Sterne: Thesen zum Islamismus

08.08.2017

Wie schon beim letzten AMS wollen wir dieses Jahr wieder unsere mittlerweile überarbeiteten Thesen zum Islamismus mit euch diskutieren. Dabei geht es uns vor allem um eine historische und materialistische Bestimmung dieses Phänomens. Jedoch sollen auch die katastrophalen politischen Einschätzungen des Islamismus in großen Teilen der Linken thematisiert werden. Für die einen sind zumindest bestimmte islamistische Gruppierungen Ausdruck eines berechtigten antiimperialistischen Widerstandes, andere wiederum wollen dem Islamismus im Schulterschluss mit Staat und Militär mit westlichen Werten entgegentreten. Beides ist unserer Ansicht nach völlig verfehlt.

Mehr Infos unter: http://actionmondundsterne.blogsport.de/

Arme Studis

05.06.2017

Ein Großteil der Studierenden in Deutschland gilt offiziell als arm. Mit einem durchschnittlichen Einkommen unter 900€ pro Monat ist es besonders in Freiburg nicht einfach, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Das hohe Preisniveau und vor allem die immer weiter steigenden Mieten führen dazu, dass trotz Bafög und Kredit viele Studierende auf eine Nebeneinkommen angewiesen sind. Dies ist natürlich nichts Neues. Reichte früher jedoch oft noch ein gut bezahlter Semesteferienjob in der Industrie um sich das restliche Semester zu finanzieren, sind spätestens seit den 1990ern und erst recht nach der rot-grünen Agenda 2010 auch viele Studis von der Unterschichtung des deutschen Arbeitsmarktes betroffen. Im unteren Einkommenssegment stieg das Einkommen in den letzten dreißig Jahren relativ gesehen am geringsten - die Prekarisierung in diesem Bereich des Arbeitsmarktes nimmt stark zu. Das führt dazu, dass ein Großteil der Studis in schlecht bezahlten Midi-, Teilzeit- oder 450€-Jobs beschäftigt ist. Doch während Studis häufig nur ein Zubrot verdienen müssen, sind einige Lohnarbeitende auf die Einkünfte zentral angewiesen.\ Viele von den Studis sind dabei sehr flexibel: die Jobs werden häufig gewechselt, mit Spaß oder karrierebedingter Weiterbildung assoziiert und meist auch schlicht nicht als Lohnarbeit ernst genommen. Studierende sind nicht selten bereit zu ungewöhnlichen Zeiten zu arbeiten, die ihnen oft auch erst kurzfristig mitgeteilt werden. Betriebliche Organisation, das Einfordern von Arbeitsrechten oder gewerkschaftliche Vertretung scheinen keine gängige Praxis zu sein. Obwohl auch für geringfügige Beschäftigungen die normalen arbeitsrechtlichen Regelungen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlter Urlaub und Kündigungsschutz gelten, scheinen viele Studierende diese nicht zu kennen. Selbst wenn diese bekannt sind, scheint das Beharren auf sie zu umständlich und letztlich auch überflüssig, da der Job einfach gewechselt werden kann. Für viele ergibt sich auch keine direkte Notwendigkeit, schließlich können sie von dem bisschen was sie haben über die Runden kommen, werden von Verwandten meist querfinanziert und sind darüber hinaus mit Studium und Selbstfindung scheinbar vollkommen ausgelastet. Was natürlich nur für die gilt, die ein dementsprechend wohlhabendes Elternhaus vorweisen können. Dies ist mit ein Grund, warum noch immer prozentual mehr als dreimal so viele Akademiker_innenkinder studieren als solche aus nichtakademischen Familien.\ Unbezahlte Überstunden machen, keine Nacht- oder Feiertagszuschläge einfordern, auch unter dem Mindestlohn bezahlt werden -- Studierende scheinen fast alles mit sich machen zu lassen. Wie viele Kneipen, Restaurants, Kinos, Callcenter und Zeitarbeitsfirmen sind über ihre Studis glücklich -- denn nur selten machen sie den Mund auf. Dazu kommt, dass es meist zu keiner Verbindung zwischen den Festangestellten und den Studijobber_innen kommt. Leider nicht selten auch deshalb, da sich diese für etwas Besseres halten. Diese Jobs sind nur Intermezzi, kurze Zwischenstationen auf der vermeintlichen Leiter nach „oben". Dabei wird zweierlei vergessen: Erstens, dass sie einfach mehr Freizeit für sich hätten, wenn sie für ihre Arbeitsbedingungen kämpfen würden; und zweitens, dass sie durch ihre Passivität den nicht-studentischen Mitarbeiter_innen schaden. Studierende arbeiten zunehmend in Jobs, die ehemals Ausbildungsberufe darstellten, konkurrieren somit mit Arbeiter_innen im Niedriglohnsektor, die keine andere Wahl haben, als ihre Jobs als existenzielle Lohnarbeit wahrzunehmen. Nicht selten kommt es vor, dass dann Mitarbeiter_innen, die sich gegen ihre Arbeitsbedingungen wehren, einfach durch studentische Aushilfskräfte ersetzt werden. Studis treiben nicht nur die Gentrifizierung voran, sondern sie sind auch als Arbeitskräfte billiger, wehren sich nicht und sind beteiligt an der weiteren Prekarisierung der Lohnabhängigen in bestimmten Branchen.

Deshalb ist es an der Zeit, auch den Studijob als Ort gesellschaftlicher Kämpfe zu begreifen. Denn die Arbeitsverhältnisse in der Kneipe, im Restaurant oder Kino sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sind immer Ausdruck des Kräfteverhältnisses zwischen Lohnabhängigen und ihren Chefs. Wenn ihr das Gespräch mit euren Arbeitskolleg_innen sucht, über gemeinsame Probleme redet und euch dann zusammen organisiert, ist schon der erste Schritt für die Lohnerhöhung, bezahlten Urlaub oder bessere Arbeitszeiten getan. Streiken auch nur wenige studentische Aushilfskräfte in der Kneipe, dann wird die Kneipe wohl auch zu bleiben.

(veröffentlicht im Studierendenmagazin berta*, #868, Mai 2017)

Vom großen Vorsitzenden zu den kleinen Schwestern - Über die Chinarezeption der westdeutschen Linken

22.05.2017

Vortrag am 30.05.2017 im Übungsraum 1, Kollegiengebäude IV der Universität Freiburg(Rempartstraße 15)\ Beginn: 20:15 (Raum ist bis 20:00 noch belegt)

Die große „Proletarische Kulturrevolution" 1966 in China wurde in weiten Teilen der westdeutschen Linken mit viel Sympathie aufgenommen. Dominierte in Teilen des antiautoritären Flügels der 68er-Bewegung zuerst noch eine spielerisch-ironische Aneignung der Ereignisse in Fernost, wandelte sich dies mit dem Zerfall der Bewegung recht schnell. Nun wurden die Worte des Großen Vorsitzenden zu verbindlichen Vorgaben im marxistisch-leninistischen Parteiaufbau oder bei der Konstitution der Stadtguerilla. Zahlreiche maoistische Parteien, Bünde und Grüppchen konkurrierten nun um die Gunst des chinesischen Vorbilds. Doch die wechselnden außenpolitischen Manöver der chinesischen Führung und die eigene Erfolglosigkeit in der Bundesrepublik machten es den hiesigen Maoisten zunehmend schwerer ihrem idealisierten Beispiel weiterhin zu folgen. Mit dem Tode Maos 1976 beginnt dann die allgemeine Abwendung der meisten Adepten in BRD und der Niedergang der maoistischen Gruppen.

Es spricht Jens Benicke der 2010 „Von Adorno zu Mao. Über die schlechte Aufhebung der antiautoritären Bewegung" beim ca ira-Verlag veröffentlicht hat.

Selbstorganisierung im Stadtteil - Basisinitiative oder Bündnispolitik

03.04.2017

Spätestens seit der globalen Krise 2008 sind »Arbeit und Wohnen« wieder Thema in der Linken. Nicht nur weil selbst der »abgeschwächte« Kriseneinbruch hier in Deutschland viele ArbeiterInnen an beiden Punkten in die Zange nimmt: Angriff auf die Löhne und höhere Renditen auf (Wohn-)Immobilien sollen Gewinne und Investitionen stützen. Auch die Linke selber kommt in die Zange -- mehr Arbeit und steigende Mieten erschweren kontinuierliche politische Organisierung. Deshalb versucht die Worker Center Initiative Freiburg Ausbeutungsbedingungen und globale Klassenkämpfe zu thematisieren, und die Recht-auf-Stadt-Initiative nimmt Mieten und Wohnen in den Focus. Aber ohne Ansätze von eigenständigen (Klassen-)Kämpfen und Selbstorganisierung bleibt es schwer, über eine Agitation linker Kreise hinauszukommen.

Seit 2014 gibt es in Hamburg die Gruppe »Wilhelmsburg Solidarisch«, die einen Anlaufpunkt bietet für alle, die mit Chefs, Vermieter*innen oder Behörden Probleme haben und sich gegenseitig beraten und unterstützen wollen. Eine »Alltagsorganisierung« die sie explicit als Alternative zur »pseudo-politischen« Kampagnen- und Bündnisspolitik« durchbuchstabieren.\ Die Themen sind vielfältig und reichen von Lohnklau, Jobcenterschikane, Zwangsräumungen und Aufenthaltsproblemen bis zu Beitragsrückforderungen von Krankenkassen. Wo es möglich und sinnvoll ist, setzt die Initiative dabei auf öffentliche und direkte Aktionen. Gleichzeitig versuchen sie, die Ursachen nicht in individuellem Fehlverhalten zu suchen, sondern die zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu thematisieren und zu bekämpfen.

Mit zwei Vertreter*innen der Gruppe wollen wir über ihre politischen Ziele und bisherigen Erfahrungen diskutieren, aber auch welche Probleme und Grenzen es dabei gibt, eine solidarische Selbstorganisierung im Stadtteil auf die Beine zu stellen und am Laufen zu halten.

Zeit: Donnerstag, 06.04.2017, 20 Uhr

Ort: Susi-Bewohner*innentreff, Vaubanallee 2

Veranstalter*innen: Worker Center Initiative Freiburg / Recht auf Stadt

  • Freiburg

Kehrseite der kapitalistischen Moderne - Der Islamische Staat - eine materialistische Analyse

28.02.2017

An English translation can be found at:\ https://antidotezine.com/2017/06/30/mosul-what-a-waste/

Als der »Kampf um Mossul« begann, galt er vielen als Anfang vom Ende des Islamischen Staates. An der bislang größten Militäraktion gegen das »Kalifat« des IS ist eine breite Koalition von irakischen, kurdischen und türkischen Truppen beteiligt. Dass sie die Provinzhauptstadt Mossul befreien werden, scheint gewiss. Und doch glaubt niemand an ein Ende des islamistischen Terrors in der Region.\ Mit dem militärischen Sieg über den IS wären zwar einige barbarische Auswüchse, aber keineswegs die Wurzeln des islamistischen Terrors verschwunden. Diese Wurzeln liegen in den Krisen- und Ausgrenzungsmechanismen der kapitalistischen Weltgesellschaft selbst. Wir sind der Ansicht, dass der IS, wie auch der Islamismus in der Region insgesamt, als eine Reaktion auf das Scheitern der kapitalistischen Modernisierung im Allgemeinen und der sogenannten »nachholenden Entwicklung« im Besonderen zu begreifen ist. Wer vom Islamismus sprechen will, darf darum auch zum Kapitalismus nicht schweigen.\ Die Ausrufung des Islamischen Staates im Juni 2014 geschah nicht aus heiterem Himmel, aber das Tempo, mit der IS innerhalb kürzester Zeit immer weitere Gebiete unter seine Kontrolle brachte, überraschte viele. Verantwortlich für die schnellen Triumphe des IS war vor allem das Machtvakuum, das der Abzug der US-Truppen im Jahr 2011 hinterlassen hatte. Zuerst fiel Ramadi, dann Falludscha und schließlich Mossul, das seitdem als »Hauptstadt« des IS im Irak gilt. Mit der Eroberung dieser Millionenstadt verschaffte sich der IS nicht nur ein größeres Einflussgebiet, sondern vor allem auch Zugang zu strategisch wichtigen Ölfeldern, die in der Folgezeit eine seiner wichtigsten ökonomischen Säulen bilden sollten. Auf dem Höhepunkt seiner politischen Macht vernichtete der IS im Sommer 2015 antike Kulturgüter, versklavte Tausende von Frauen und Kindern und organisierte ihre Vergewaltigung, verübte einen Genozid an den Angehörigen der jesidischen Religion und errichtete eine grausame Terrorherrschaft. Zeitweise rückten seine Terrormilizen bis vor die irakische Hauptstadt Bagdad vor.\ Wie war der Siegeszug der IS-Milizen gegen die irakische Armee möglich? Ein Teil der Antwort ist darin zu suchen, dass der irakische Staat schon damals kaum noch als Staat bezeichnet werden konnte. Bereits lange vor der IS-Offensive hatte eine Serie von Auflösungsprozessen eingesetzt. Angestoßen wurde sie durch die US-geführte Invasion der »Koalition der Willigen« im Jahr 2003. Diese führte nicht nur zur Entmachtung des bis dahin herrschenden sunnitischen Baath-Regimes unter Saddam Hussein, sondern auch zur umfassenden Umstrukturierung des Staatsapparates zu Gunsten der durch den Westen an die Macht gebrachten schiitischen Minderheit. Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit weiter Teile der Bevölkerung sowie Terroranschläge islamistischer Gruppierungen im Zuge des »irakischen Widerstands« ließen das Land bereits vor dem Abzug der US-Streitkräfte in Chaos und Bürgerkrieg versinken.\ Eine erste Erklärung für die Entstehung des IS lautet vor diesem Hintergrund, dass der Sturz des Baath-Regimes zu einem Ausschluss der Sunnit_innen aus Staat und Militär führte, und dass dieser Ausschluss den Nährboden für einen Bürgerkrieg zwischen den entmachteten Sunnit_innen einerseits und den durch die USA an die Macht gebrachten Schiit_innen andererseits bildete. (ak 596) Besonders folgenreich war dabei der Zusammenschluss ehemaliger Militärs und Geheimdienstmitglieder des Baath-Regimes mit islamistischen Terrorgruppen. Vor allem die Verbindung dieser beiden Gruppen bildete den personellen Kern, um den sich der spätere Islamische Staat gruppierte. Dessen Vorgängerorganisation, Al-Qaida im Irak, gelang es, die Widerstandsbewegung zu vereinnahmen und den Konflikt radikal zu »islamisieren«.\ Die strukturellen Gründe des Konflikts reichen jedoch tiefer. Die »Dschihadisierung« des Bürgerkriegs im Irak beruhte auf einer Ethnisierung und religiösen Aufladung von materiellen Widersprüchen. Der Nährboden, auf dem sich der Bürgerkrieg und der schlussendliche Zerfall des Staates ausbreiteten, ist das Ergebnis eines Scheiterns der sogenannten »nachholenden Entwicklung«, also eines Scheiterns der kapitalistischen Modernisierung.\ Schon zu Zeiten Saddam Husseins gelang es trotz der Milliarden durch die reichen Ölreserven des Landes nicht, eine funktionierende heimische Industrie aufzubauen -- mit Ausnahme der Petroindustrie selbst. Der Irak besitzt und besaß kein nennenswertes verarbeitendes Gewerbe als Grundlage für eine kapitalistische Modernisierung. Schlüsselindustrien wie beispielsweise Maschinenbau, Stahlerzeugung oder Chemie konnten sich nie etablieren. Im Augenblick verzeichnet einzig die Baubranche größere Wachstumsraten, die allerdings den erlittenen Kriegsschäden zu verdanken sind.\ Die Gründe für dieses wirtschaftliche Scheitern sind vielfältig. Neben Korruption und hohen Militärausgaben ist zunächst das UN-Embargo von 1991 bis 2003 zu nennen, das zu einer völligen Lähmung der Wirtschaftsentwicklung führte. Mindestens ebenso wichtig allerdings war, dass es außerhalb des Iraks niemals ein wirkliches Interesse an der Entwicklung des Landes nach europäischem oder asiatischem Vorbild gab. Der Irak blieb seit den 1980er Jahren auf seine Rolle als Rohstofflieferant beschränkt. Mit dem schwelenden Konflikt im Hintergrund, einer schwächelnden Weltwirtschaft und der zerstörten Infrastruktur sieht auch die Zukunft des Landes nicht nach der Erfüllung des Versprechens der »nachholenden Entwicklung« aus.\ Bis auf Weiteres befindet sich der Irak in einem Zustand völliger außenpolitischer Ohnmacht, die ihn jeder Möglichkeit einer souveränen Wirtschaftspolitik beraubt. In einem weltwirtschaftlichen Umfeld, das von der schwersten Wirtschaftskrise seit 1929 geprägt ist, besteht für ihn keine Aussicht auf Entwicklung. Denn obwohl die Zentralbanken Monat für Monat Milliarden Dollar in »die Wirtschaft pumpen«, stellt sich kein tragfähiges Wachstum ein. Die kapitalistische Krise, die seit den 1970ern schwelt und im Jahr 2008 die Weltwirtschaft an den Rand des Kollaps geführt hat, bestimmt die ökonomischen Spielräume der Nationalökonomien auch weiterhin. Da die Krise eine strukturelle Krise der Verwertung des Kapitals ist, verursacht durch die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, ist sie auf kapitalistischer Grundlage -- zumindest ohne einen neuen Weltkrieg -- nicht lösbar.\ Die führenden Staaten und Staatenbündnisse sind auch deshalb gezwungen, Kriege zu führen, weil sie nach neuen Verwertungsmöglichkeiten suchen. Eines der wesentlichen Ziele des Irakkriegs im Jahr 2003 war, so haben Detlef Hartmann und Dirk Vogelskamp in ihrer Studie »Irak: Schwelle zum sozialen Weltkrieg« (2003) aufgezeigt, nicht nur der Sturz des verfeindeten Baath-Regimes, sondern auch die Öffnung des irakischen Marktes. Das westliche Kapital hoffte darauf, den Irak als neuen Absatzmarkt sowie als politische und ökonomische Zukunftsplattform inmitten einer bis dahin stagnierenden Region zu installieren. Eine Art Marshall-Plan für den Nahen Osten sollte neue Impulse zur Belebung der seit Jahrzehnten erlahmten Weltwirtschaft und zur Überwindung der Krise geben -- jedoch nach neoliberalem Vorbild und damit auf Kosten der Bevölkerung und einer selbständigen Modernisierung des Landes.\ So blieb der Irak seit dem Krieg dem Diktat des IWF und anderer kapitalistischer Institutionen unterworfen. Zwei wesentliche Bausteine der »Neoliberalisierung« des Iraks bildeten dabei die Reformen des Chefs der US-Zivilverwaltung, Paul Bremer, und das Reformpaket des IWF vom Sommer 2016. Die sogenannten »100 Orders« sahen die Senkung der Körperschaftssteuer auf weniger als 15 Prozent, weitgehende Privatisierungen der staatlichen Betriebe sowie die Immunität ausländischer Vertragspartner vor. Das Reformpaket des IWF nicht anzunehmen, war der Regierung im Irak angesichts der humanitären Katastrophe nicht möglich. Daher verpflichtete sie sich, die Bürokratie zu verkleinern, Staatsausgaben zu senken, den Einfluss staatlicher Banken zu schwächen und zahlreiche Staatsbetriebe zu privatisieren.\ Zumindest für den Westen war diese Öffnung des irakischen Marktes ein voller Erfolg: Die Importe steigerten sich von 2,6 Milliarden Dollar im Jahr 2003 auf ganze 45 Milliarden Dollar im Sommer 2016. Für den Irak selbst bedeutete der enorme Importüberschuss hingegen eine völlige Lähmung der eigenen Produktion. Ahmed Twai vom Middle East Eye konstatiert das Ergebnis dieser Wirtschaftspolitik: »Die Erschließung des Marktes zerstörte, was von der eigenständigen Lebensfähigkeit des Irak übrig war.« Die kapitalistischen Reformen führten nicht zum einem Aufbau, sondern vielmehr zum Abbau der irakischen Wirtschaft.\ Der irakische Reststaat selbst besitzt keinerlei Möglichkeiten, relevante Formen der Produktion aufzubauen. Nicht nur Industrie und Dienstleistungen, die einen hohen Ausbildungsgrad der Bevölkerung voraussetzen, auch die Landwirtschaft liegen brach. Der Großteil der Menschen bestreitet in kleinbäuerlichen Verhältnissen seinen Lebensunterhalt, sieht sich angesichts der durch den Klimawandel fortschreitenden Bodendegradation und des sich verschärfenden Wassermangels jedoch zunehmend der eigenen Lebensgrundlage beraubt.\ Selbst das Öl, jahrzehntelang die zentrale Wohlstandsquelle des Irak, vermag diese Entwicklung nicht aufzuhalten. Als vom Erdölexport abhängige Ökonomie traf den Irak der Sinkflug der Ölpreise besonders schwer. Ein »Failed State« wie der Irak hat in diesem ökonomischen Umfeld und unter dem Druck der mächtigen Volkswirtschaften und ihrer ökonomischen Doktrinen keine Entwicklungsperspektive.\ Der Islamische Staat stellt in dieser Situation zumindest für einige eine verlockende Antwort dar. Er präsentiert sich als radikale Alternative zur kapitalistisch-liberalen Moderne, indem er »fundamentalistisch« auf die Verunsicherungen reagiert, die mit kapitalistischen Modernisierungsprozessen und insbesondere ihrem Scheitern einhergehen. Er formuliert ein Aufstiegs- und Anerkennungsversprechen für Männer, deren sozialer Status bedroht ist. Auf der materiellen Ebene trägt er die Züge einer Cliquenherrschaft, bei der die knappen Ressourcen des Landes unter der eigenen Gruppe aufgeteilt werden, während die restlichen Bevölkerungsteile unterdrückt, ausgebeutet, terrorisiert oder gar ausgelöscht werden. Insofern ist der Islamische Staat auch nur ein Produkt der kapitalistischen Barbarei, die den Nährboden für seine religiös begründete Gewaltherrschaft bildet -- und mit militärischen Mitteln allein nicht zu bekämpfen.

Der Text ist zuerst in ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis Nr. 623 erschienen.

Veranstaltung und Tagesseminar: Islamismus als Krisenreaktion

11.01.2017

Der Islamismus ist ohne Frage eines der zentralen Themen der Gegenwart. Allzu oft wird der Islamismus dabei jedoch als archaische, also vormoderne Erscheinung abgetan. Dabei sehen wir in den gegenwärtigen islamistischen Gruppen und Gangs ein Phänomen der kapitalistischen Krise: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Islamismus schweigen!« Der moderne Islamismus entstand im Umfeld und als Reaktion zu der Weltwirtschaftskrise von 1929. Er ist auch aktuell eine reaktionäre Antwort auf die Krise, der gegen die Moderne, die Aufklärung und auch alle linken Ideen als vermeintliche Ursache der Krisen vorgeht.

Veranstaltung: Freitag, 20. Januar 2017, 19.30 Uhr\ Tagesseminar: Samstag, 21. Januar 2017, 12-19 Uhr\ nGbK, Oranienstr. 25, Berlin-Kreuzberg

Der Islamismus ist ohne Frage eines der zentralen Themen der Gegenwart. Allzu oft wird der Islamismus dabei jedoch als archaische, also vormoderne Erscheinung abgetan. Dabei sehen wir in den gegenwärtigen islamistischen Gruppen und Gangs ein Phänomen der kapitalistischen Krise: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Islamismus schweigen!« Der moderne Islamismus entstand im Umfeld und als Reaktion zu der Weltwirtschaftskrise von 1929. Er ist auch aktuell eine reaktionäre Antwort auf die Krise, der gegen die Moderne, die Aufklärung und auch alle linken Ideen als vermeintliche Ursache der Krisen vorgeht.

In aufstrebenden islamistischen Bewegungen wie beispielsweise dem IS versammeln sich meist Männer, die sich vor dem Hintergrund massiven sozialen und/oder psychischen Elends zu gewalttätigen Herren über andere aufschwingen. Die im Kern auf Unterwerfung abzielende Ideologie legitimiert eine gewaltsame Praxis und scheinbar privilegierte soziale und ökonomische Existenz. Die Niederlage des »Arabischen Frühlings« hat zur Stärkung des Islamismus geführt. Obwohl sich die Islamisten, wenn auch eher zaghaft, an den Protesten beteiligt haben, müssen sie als eine der dynamischen und konterrevolutionären Kräfte in den Revolten gesehen werden.

Auch von linker Seite wird der Begriff Islamismus zumeist als inhaltsleere Hülle gebraucht. Entweder wird in moralisch verdammender Absicht von »Islamfaschismus« gesprochen oder toleranzgeschwängert und antirassistische Alarmglocken läutend vor steigender »Islamophobie« gewarnt. Darum haben die Genossinnen und Genossen von La Banda Vaga den Versuch unternommen, sich dem Phänomen mit einigen Thesen über die materiellen und historischen Grundlagen des Islamismus sowie zu den daraus resultierenden politischen Konsequenzen anzunähern. Diese Thesen werden sie auf der Veranstaltung vorstellen und im Anschluss diskutieren.

Die Veranstaltung findet am Freitag, den 20. Januar, 19.30 Uhr in den Räumen der nGbK statt. Das Tagesseminar findet am Samstag, den 21. Januar, von 12 bis 19 Uhr in der nGbK statt. Bitte eine Anmeldung per Email an: freu.de.kla@gmx.de. Dann erhaltet ihr auch den Reader mit den Texten für das Seminar.

Veranstaltung: Freitag, 20. Januar 2017, 19.30 Uhr\ Tagesseminar: Samstag, 21. Januar 2017, 12-19 Uhr\ nGbK, Oranienstr. 25, Berlin-Kreuzberg