2002

Krieg dem deutschen Frieden!

01.12.2002

In Kriegsfragen erfreut sich die deutsche Gesellschaft mal wieder an ihrem liebsten Zustand: Der Einigkeit. Die Einheitsfront der deutschen Friedensphalanx gegen den Irakkrieg vereint alle Deutschen, von Autonomen, DKP, Grünen, SPD über CDU, NPD (wobei diese seit einiger Zeit eh bei jeder Friedensdemo mitmarschiert) bis zu den rechtsradikalen Straßenmörderbanden (\"Kameradschaften\"). Folgerichtig präsentieren sich Gerhard Schröder und Joseph Fischer als offizieller Arm der deutschen Friedensfreunde. Dabei sollte die Tatsache, seit langem mal wieder mit und für die deutsche Regierung zu protestieren, jeden kritischen Menschen, jeden Materialisten allemal, skeptisch stimmen. So brachten doch gerade jene Peace-Lovers von heute eventuelle Abweichler per Erpressung (\"Vertrauensfrage\") zur Unterstützung von Streubombenangriffen, Verminung und Bündnissen mit wildgewordenen Schlächtertrupps (\"Nordallianz\").

Deutschland stellt nach den USA die zweitmeisten Truppen in Auslandseinsätzen. Momentan sind es mehr als 10000 Soldaten in 14 Ländern von Mazedonien bis Afghanistan. Durch das Rotationsprinzip sind sogar mehr als 60000 Bundeswehrsoldaten in diese Einsätze involviert. Deutschland und Frankreich versuchten mittels einer Europäisierung der Militärs die Konkurrenzposition gegen die bisher im militärischen Bereich unangefochten führenden USA zu verbessern. Doch auf diese Pläne, eine EU-Armee aufzubauen, haben die USA bereits reagiert. Die auf dem Prager Gipfel beschlossene schnelle Eingreiftruppe der NATO soll die europäischen Träume sabotieren. Auch auf ökonomischem Gebiet gibt es Auseinandersetzungen, wie die Handelskriege um Roquefort und Bananen zeigen. Natürlich ist die Konkurrenz um Einfluss im Nahen Osten keine Ausnahme.

Sollte man Amerikas Kriegsfreude durch potentielle Ölvorkommen und deren Kontrolle entlarven, so ist es Pflicht, die Deutschen Friedensgelüste als ebensolches Wirtschaftsinteresse zu sehen, will man nicht vollkommen in einen antiamerikanischen Legitimationswahn abdriften: So gehört Deutschland mit Frankreich doch zu denjenigen westlichen Ländern, die heute den meisten Handel mit arabischen Staaten im Nahen Osten treiben. Die beiden europäischen Staaten sind die Top-Exporteure in den Iran, Syrien und nahezu alle Anrainerstaaten des Irak, wo vornehmlich am Ölboykott vorbeigeschmuggelte Petrodollars - besser Petroeuros - gewaschen werden. Dass die deutsche Wirtschaft eben diesen Vorteil auszubauen gedenkt und kein Interesse an einem Krieg und veränderten Machtstrukturen hat, zeigt unter anderem, dass die Deutschen den größten Teil an Ausstellern der irakischen Handelsmesse dieses Jahres stellten (subventioniert vom dt. Wirtschaftsministerium). Genauso wie die Amerikaner verfolgt auch die deutsche Regierung lediglich die eigenen wirtschaftlichen Interessen. Sie vertritt also keine moralisch höherstehende Position, sondern gebraucht nur eine etwas verstecktere und vor allem verlogenere Taktik. Wer sich nun an die Seite der Kriegsverbrecher Schröder und Fischer stellt, mit den dt. Herrschenden den Schulterschluss übt, der macht sich, wenn auch unbewusst und vielleicht ungewollt, zum Mitstreiter für dt. Hegemonialinteressen gegen die USA.

Um so erstaunlicher ist es, dass eben jenen Gruppen, die immer gebetsmühlenartig das materialistische Brevier von Ölquellen herunterleiern, bei Deutschlands Interessen die Stimme versagt. Als sei das nicht genug, schlägt das Pendel des Irrsinns sogar merklich in die andere Richtung aus: Gerade viele sich als kommunistisch begreifende Parteien/Gruppen solidarisieren sich mit Saddam Hussein. Dabei ist dieser ein traditioneller faschistoider Despot und Tyrann, der keine Opposition duldet, die Menschen ausbeutet, foltert, unterdrückt und ermordet, zig Milliarden für Waffen, Geheimdienste, Standbilder und Paläste ausgibt, während die Bevölkerung hungert, und der ganz nebenbei einer der Hauptfinanziers der antisemitischen Selbstmordbomber in Israel ist. Der Unterschied zu Pinochet in Chile, gegen den sich alle Kommunisten vereint haben, ist kaum erkennbar. Nur fehlt im Irak die emanzipatorische Unidad Popular, mit der man sich als progressiver Mensch solidarisieren könnte. Warum? Weil Husseins Baath-Partei seit Machtantritt fast zehntausend Kommunisten ermorden ließ. Noch heute sind die irakischen Kommunisten verfolgt und können nur aus dem Exil heraus agieren. Im Irak herrscht seit Jahren permanenter Kriegszustand, sich immer wiederholende Aufstände von Kurden, Schiiten und anderen unterdrückten Gruppen werden mit ebenso repetitiver Brutalität niedergewalzt. Es gibt also keinen, aber auch gar keinen Grund, sich in irgendeiner Frage mit Hussein gemein zu machen oder ihn auch nur zu tolerieren. Dass in letzter Zeit trotzdem zig Solidaritätscommunique für Hussein von Kommunisten und Faschisten aller Welt proklamiert werden, lässt die bittere Vermutung aufkommen, dass der einzige Kitt, der diese Kommie-Nazi-Allianz zusammenhält, ein dumpfes antiamerikanisches Ressentiment ist. Machen wir uns nichts vor: Ein \"kapitalistischer Friede\" ist ein Oxymoron, denn er bedeutet immer Krieg und Elend in den ausgebeuteten Ländern. Auch ein \"faschistischer Friede\" ist da nicht anders, konzentriert er doch Terror und Unterdrückung im eigenen Land. Beide stehen einer freien Gesellschaft diametral entgegen und müssen von jedem vernünftigen Menschen bekämpft werden !

Nun ist Bushs/Blairs Krieg kaum besser als Saddams/Schröders \"Friede\". Die USA folgen in ihrer Kriegslogik, wie immer nach dem 2. Weltkrieg, den Gesetzen des Kapitalismus. So müssen, um die in diesem System zyklisch auftauchenden Krisen zu überstehen, zwei Dinge getan werden: Erstens muss die Wirtschaft durch Staatsinvestitionen stimuliert werden, um den inneren Markt anzukurbeln und wieder Geld in den Konsumkreislauf zu stecken; dies nennt sich Keynesianismus. Da die USA aber bankrott ist, kann dieses Geld nur durch Kredite bereitgesellt werden. Am liebsten investiert der Staat in die arbeitsplatzschaffende Schwermetallindustrie, namentlich in die Rüstungskonzerne. Um diesen riesigen Pump zu finanzieren, müssen die neuen Waffen aber auch gewinnbringend eingesetzt werden. Keynes funktioniert nur mit Krieg.

Als zweiter Punkt ist es unabdingbar, dass dem heimischen Markt billige Rohstoffe zugefügt werden, um die Produktionskosten zu senken. Dass Öl hier eine nicht kleine Rolle spielt und die irakischen Quellen vor der Verstaatlichung alle in US-amerikanischer und britischer Hand waren, soll hier nicht verschwiegen werden. Was bietet sich nach kapitalistischen Gesetzen mehr an, als eine Intervention der USA im Irak? Dabei geht es den USA um das Meistern der Krise und um sonst nichts. Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass die Vereinigten Staaten außer dem Gesetz der Akkumulation keine ideologische Linie verfolgten, die eine emanzipatorische Hoffnung in irgendeiner Weise rechtfertigt, wie es einige verzweifelte Linke tun. Der Kapitalist paktiert mit jedem, auch mit dem Faschisten oder Taliban, solange der ihm nicht ins Gehege kommt.

In Afghanistan, diesem von Warlords, Kriegsverbrechern und Islamisten kontrollierten Land, wurde die menschenverachtende Scharia nach kurzer Abstinenz wieder eingeführt, die Religionspolizei prügelt die Afghanen Freitags wieder in die Moscheen. Der Aufklärung ist man hier nur um 3 cm Bartlänge näher gekommen. Genauso beweist die Kooperation der USA mit der völkischen UCK im Kosovo, dass die Vereinigten Staaten keine stringente Position verfechten, die dem völkischen Prinzip zuwiderläuft und mit dem man sich identifizieren könnte.

Für uns, die in dieses Deutschland hineingeboren wurden, gilt aber trotz alldem wie seit eh und je: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Deshalb ist es für uns wichtigste Aufgabe, gegen das deutsche Kapital und seine Großmachtsambitionen in aller Welt, gegen seine Vertreter, die Regierung mit ihrer verlogenen und infamen deutschen Friedenswegsparole und die gehörige Portion Antiamerikanismus zu kämpfen.

La Banda Vaga, Dezember 2002

Klaus Schramm von der Stattzeitung hat uns eine Replik geschickt, unsere Antwort findet sich hier.

5 Jahresplan übererfüllt

01.11.2002

La Banda Vaga feiert Jubiläum!\ Mit festem Schritt voran zum Sozialismus:\ 5 Jahresplan übererfüllt!

Das ZK gibt bekannt: Fünf Jahre nach der Gründung der Gruppe La Banda Vaga als Vorhut des revolutionären Proletariats ist der erste Fünfjahresplan bereits übererfüllt. Wir schreiten also festen Schrittes weiter voran zum Sozialismus. Dies ist ein Grund zum Feiern und zur Bekanntgabe der Ziele des nächsten Fünfjahresplans. Gefeiert wird ab 22 Uhr zu den Klängen eines DJs, dazu kann ein leckerer Cocktail geschlürft werden. Der Eintritt ist natürlich frei! Nun zu den Zielen des nächsten Fünfjahresplans: Er sieht die Umwandlung Freiburgs in eine Räterepublik vor. Venceremos!!

Party: 8.11.2002 KTS

Bordercamp Strasbourg - Ein Diskussionspapier zur Antisemitismusdebatte

10.06.2002

Am Osterwochenende, bzw. dem jüdischen Pessachfest, ging eine heftige Welle antisemitischer Anschläge um die Welt. Vor allem in Frankreich brannten etliche Synagogen und auch in Straßburg gab es einen Brandanschlag, auch wurden mehrmals jüdische Friedhöfe geschändet. Die Täter waren zumeist Jugendliche aus dem Kreis der maghrebinischen EinwandererInnen.

In den Mobilisierungstexten für das Grenzcamp, sowohl in Freiburg als auch international, wurde dieses Thema leider bisher nicht einmal erwähnt, während andererseits die Immigrantenkids äußerst einseitig als Opfer von Rassismus und Polizeiwillkür beschrieben werden [1], was natürlich auch stimmt und wogegen diese sich ja auch zu recht auflehnen. Doch wir denken, dass die Anschläge nicht von uns ignoriert werden können.

Zur Erinnerung: Mit Beginn der palestinensischen \"zweiten Intifada\" im Herbst 2000 begann eine weltweite Serie antisemitischer Pogrome, die ihren ersten Höhepunkt am jüdischen Feiertag Yom Kippur hatte. Auch in Raum Straßburg, wo am 13.10.2000 Molotov-Cocktails auf eine Synagoge geworfen wurden [2]. In der Zeit danach flaute es etwas ab, doch es gab immer wieder Vorfälle wie antisemitische Grafitti, Steinwürfe gegen die Synagoge in Bischheim, Verwüstung des jüdischen Friedhofs in Fegersheim, Schlägereien, Drohungen und Beleidigungen [Badische Zeitung, 30.3.2002: Aus Angst sitzt auf vielen Köpfen die Schirmmütze statt der Kippa. (hier)]. Dann kam es dieses Jahr an Ostern zum neuen Höhepunkt. Während in Marseilles die Synagoge bis auf die Grundmauern abbrannte, gab es bei einem Brandanschlag auf die Synagoge im Straßburger Stadtteil Cronenbourg zum Glück nur geringen Sachschaden. In den Tagen darauf folgte ein Brandanschlag und später (wie schon einmal im März) ein versuchter Anschlag mit einer selbstgebastelten Bombe auf den jüdischen Friedhof im Vorort Schiltigheim. Auch wurden auf dem jüdischen Friedhof in Cronenbourg Gräber mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen beschmiert [3].

Es ist hoffentlich nicht notwendig, zu erklären, dass es durchaus bereits antisemitisch ist, wenn hier lebende JüdInnen für die Politik Israels (wie auch immer man diese einschätzt) verantwortlich gemacht werden, da dies nur Sinn machen würde, wenn von einer jüdischen Weltverschwörung ausgegangen wird. Der oft gehörte Hinweis, Araber könnten keine Antisemiten sein, da sie ja selbst ein \"semitisches Volk\" seien, macht es sich zu einfach. Ganz davon abgesehen, dass hier munter bei der Einteilung der Menschen in Völker / Ethnien / Rassen mitgemacht wird, die wir ja bekämpfen wollen, ignoriert diese Bemerkung, dass Antisemitismus nicht einfach ein gegen Juden gerichteter Rassismus ist. Schließlich gibt es massive Unterschiede zwischen dem Hass auf als minderwertig angesehene Fremde einerseits und der Angst vor dem als allmächtig angesehenen Juden andererseits, dem Hass auf diesem zugeschriebene Eigenheiten wie Kosmopolitismus, \"Wucher\", \"Schmarotzertum\", Neigung zu Verschwörung usw. Tatsächlich neigt der moderne Antisemit dazu, alle negativen Auswirkungen des Kapitalismus und alle Krisen der Macht \"des Juden\" zuzuschreiben.

Angesichts des militanten Antisemitismus eines Teils jener ImmigrantInnen in den Banlieus stellt sich allerdings die Frage, wie damit umgegangen wird. Auf diesen Teil der MigrantInnen können wir uns ja wohl wirklich nicht positiv beziehen. Glücklicherweise handelt es sich dabei nur um eine Minderheit, wie u.a. Aussagen aus den jüdischen und muslimischen Gemeinden nahelegen [4]. Auch verfassten rund 50 maghrebinische Intellektuelle einen Appell gegen Antisemitismus [5].

Ein Camp, das die jüngsten Anschläge ignoriert, würde hingegen sich und seinen emanzipatorischen Anspruch einigermaßen blamieren. Daher finden wir es notwendig, dass der Antisemitismus in öffentlich wahrnehmbarer Form thematisiert wird.

Es geht nicht darum, irgendwelche konstruierten Neben - oder Hauptwiedersprüche gegeneinander auszuspielen. Stattdessen wollen wir, dass die Herrschaft von Menschen über Menschen und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in ihrer Totalität in allen ihren Facetten kritisiert und hoffentlich auch irgendwann abgeschafft werden. Immerhin ist doch die Frage durchaus relevant, ob die Menschen im Falle einer Krise anfangen, JüdInnen und AusländerInnen zu jagen und nach dem starken Staat rufen, oder endlich die falschen Verhältnisse abschaffen.

In diesem Sinne:

Für die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!\ Für freies Fluten!

La Banda Vaga, Juni 2002

Anmerkung:\ Wir hatten dieses Papier ursprünglich in einer anderen Fassung veröffentlicht. Ein unglücklich formulierter und daher falschverstandener Satz und der ursprüngliche Titel, der als Ablehnung des Camps überhaupt wahrgenommen wurde, haben die Änderungen notwendig gemacht.

Notizen:\ [1] Z.B. im Koraktor\ [2] Siehe Hagalil\ [3] Badische Zeitung, 3.4. und 15.4.2002.\ [4] Badische Zeitung, 30.3. (hier) und 3.4. 2002; siehe auch: La haine des antijuifs, Jungle World Nr. 14/2002.\ [5] Graswurzelrevolution 269, Mai 2002.

Die Zerstörung der Vernunft - Zur Esoterik- und Religionskritik

02.06.2002

»Unmittelbar gesehen ist der okkulte Spuk gewiss nur Fascisierung des Bürgertums, übergang seines unbrauchbar gewordenen Liberalismus ins autoritäre und irrationale Lager.«\ Ernst Bloch

Auch in der Folge des 11. Septembers wurde illustriert, wie weit irrationales Denken in der bürgerlichen Gesellschaft verbreitet ist. Religion (und vor allem die Beschäftigung mit dem Islam) hatte Konjunktur, Nostradamus Bücher waren ausverkauft und die esoterische Szene bastelte sich Verschwörungstheorien zu recht. In der Überzeugung, ausschließlich das Bewusstsein bestimme das Sein, wendet sich die Esoterik von emanzipatorischen Bewegungen der 1960er Jahre ab und setzt rein auf individuelle Bewusstseinsveränderung als Voraussetzung für gesellschaftlichen Wandel. Auch erschreckend viele ehemalige Linke haben ihren Weg zum Irrationalen gefunden. Horoskope, Tarotkarten, Heilsteine, Erdstrahlen, Mondgläubigkeit, Urintherapie ... Nach vorsichtigen Schätzungen sind in der BRD zehn Millionen Menschen der Esoterik aktiv zugeneigt, der Umsatz der bundesdeutschen Esoterikindustrie beläuft sich auf über 10 Milliarden Euro. Gerade Freiburg ist als \"Esoterikhauptstadt\" bekannt.

Doch wie kann heute noch ein derartiges Bedürfnis nach irrationalen Denkformen entstehen? Diese Gesellschaft, die mit der Spaltung der Menschheit in Ausbeuter und Ausgebeutete, Herrscher und Beherrschte an sich irrational ist, produziert eine Sicht, die voller Verkehrungen ist. So wird das gesellschaftliche Verhältnis statt dessen als Verhältnis der Dinge wahrgenommen. Die Sicht auf die Warenwelt ist zwangsläufig eine ideologische. Die bürgerliche Wissenschaft als Legitimationswissenschaft des Kapitalismus ist nicht in der Lage, die gesellschaftlichen Widersprüche, die sie als Naturgesetze wahrnimmt, aufzuheben. Deshalb droht stets der übergang in den Irrationalismus. Reicht dem sozial verunsicherten Bürgertum die \"Religion des Alltagslebens\" nicht aus, sucht sie Halt in den Versprechungen der Esoterik und befördert damit die zunehmende Entsolidarisierung in der Gesellschaft.

Ein in der Esoterik weit verbreiteter Glaube ist das, aus den asiatischen Religionen übernommene, Karma. Demnach werden Menschen bis zur \"Erlösung\" immer \"wiedergeboren\" und sollten durch \"gute Taten\" versuchen, ihre Stellung im nächsten Leben zu bestimmen. Diese Lehre führt schnell zur Vorstellung, dass zum Beispiel behinderte oder in Armut lebende Menschen daran selbst Schuld seien, weil sie ihr \"früheres Leben\" falsch gelebt haben sollen. Alice Ann Bailey, eine Anhängerin Rudolf Steiners, rechtfertigte damit sogar die Ermordung von 6 Millionen Juden im Nationalsozialismus als \"Feuer der Reinigung\".[2] Die 170 (Tendenz steigend) Waldorfschulen, die sich leider auch in der Linken ob ihres scheinbar alternativen Charakters großer Beliebtheit erfreuen, werden z.T. auch staatlich unterstützt. Auch die Freiburger Linke Liste willigte Gelder zu. Der Schulalltag in diesen weitgehend ausländerfreien Privatschulen gibt hingegen ein antiemanzipatorisches Bild. Im Kern autoritär, mit stupidem Auswendiglernen, Aufsagen im Chor, Frontalunterricht, sozialer Kontrolle, Fußballverbot (weil dies kein deutscher Sport sei) und Diskriminierung. Noch heute hat die Wurzelrassenlehre im Geschichtsunterricht der Waldorfschulen einen festen Bestandteil. Deren rassistischer [3] Gehalt wird unter anderem durch folgende Zitate Steiners, dem Begründer der Anthroposophie, deutlich: \"Das Judentum hat sich längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten.\"[4] Und: \"die Negerrasse gehört nicht zu Europa. [...] Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geist schaffende Rasse.\"[5] Diese Wurzelrassentheorie wurde von Steiner direkt von Helena Blavatzky (1831

  • 1891), der Begründerin der Theosophie, übernommen. Diese Geheimlehre ging in das Gedankengut der Thulegesellschaft, einer Vorgängerorganisation der NSDAP, ein. Blavatzkys Werke sind heute Bestseller in Esoterikbuchläden. Ein Förderer der Neuherausgabe ihrer Bücher ist unter anderen der Dalai Lama. Tatsächlich pflegt dieser gefeierte \"Gottkönig\" Kontakte zu Altnazis und religiösfanatischen Terroristen. So bezeichnet er den Führer der Aum-Sekte, Shoko Asahara, als seinen Freund .[6]

Dem Esoteriker ist nicht mit rationalen Argumenten beizukommen. Gegebenenfalls wird der Kritiker auf seine \"zu niedrige Bewusstseinsstufe\" oder ähnliches verwiesen. Dieses Verhalten gleicht dem von der Kritischen Theorie beschriebenen autoritären Charakter. Erich Fromm könnte auch einen Esoteriker gemeint haben, als er schrieb: \" Die relative Undurchschaubarkeit des gesellschaftlichen und damit des individuellen Lebens schafft eine schier hoffnungslose Abhängigkeit, an die sich das Individuum anpasst, in dem es eine sadomasochistische Charakterstruktur entwickelt. [...] Der masochistische Charakter erlebt sein Verhältnis zur Welt unter dem Gesichtspunkt des unentrinnbaren Schicksals.\"[7] Im Zuge allgemeiner Krisenerscheinungen versucht das bürgerliche Subjekt verstärkt, sich die verkehrte Welt irrational zu erklären. Der Boom der Esoterik erinnert an die Krisen der späten 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, als der Mystizismus zu einem der geistigen Vorreiter des Nationalsozialismus wurde. So verwundert es auch nicht, dass es noch heute ideologische und personelle Verbindungen zwischen Esoterik und Rechtsradikalen gibt.

Nur durch das radikale Brechen mit der bürgerlichen Ideologie ist eine Annäherung an die Vernunft zu haben!

\"Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.\"\ Marx [8]

Veranstaltungen zur Esoterik- und Religionskritik\ 13.6.2002 Ludwig Feuerbach: \"Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde\" 20:00 KTS Referent: Dipl.-Soz. Päd. Heribert Sommer, Coburg, Redaktion Marxistische Kritik ( OKF Süd ) Die Kritik der Religion ist bis heute nicht zu gesellschaftlicher Bedeutung gelangt. Sie hat keinen Eingang in das Bildungssystem gefunden und wird von der bürgerlichen Wissenschaft ignoriert. Insofern befindet sich die Menschheit materiell zwar im Kapitalismus, ideell aber noch immer im Stadium des geistigen Mittelalters - entsprechend eines Satzes von Ludwig Feuerbach, der schrieb: \"Das Christentum ist das Mittelalter der Menschheit\". Die Religionskritik des Philosophen Ludwig Feuerbach war in Deutschland im 19. Jahrhundert ein zentrales Moment der Aufklärung. Sie beeinflußte viele bedeutende Denker dieser Zeit, darunter auch Karl Marx. In diesem Vortrag geht es u.a. darum, das anthropologische Wesen der christlichen Gottesvorstellung aufzuzeigen. Die menschliche Vorstellung von der Gottheit gipfelt in der Person Jesus Christus. Es ging Feuerbach nicht vordringlich darum, die Gottheit zu leugnen, sondern diese Vorstellung in all ihren Ausprägungen als menschlich und nicht fremd zu erklären.\ 16.6.2002 Esoterik und Irrationalismus 20:00 KTS Vier ReferentInnen der Redaktion des Streitblatts (München) \"Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik,\" schrieb Karl Marx 1844. 158 Jahre später ist das religiöse Bewußtsein verbreiteter denn je - nur nennt es sich anders: Spiritualität und Esoterik geben dem \"anderen\" Rechnung, was es da angeblich noch gäbe. Seit zwei Jahrhunderten ist die Religion widerlegt; die prolongierte theoretische Widerlegung der Religion macht sich darum der Unwahrheit schuldig, das Volk in seiner kapitalistischen Vergesellschaftung sei aufzuklären. Das religiöse Bewußtsein ist die Projektion der menschlichen Bedürfnisse ins Jenseits und die Negation der Kritik am Diesseits. Je länger das religiöse Bewußtsein über seine theoretische Aufhebung fortdauert, desto mehr widerstreitet es theoretisch jedem richtigen Urteil und praktisch jedem Versuch, unmenschliche Verhältnisse umzuwerfen. Diese Verhältnisse sind der Feind, der nicht zu widerlegen, sondern zu vernichten ist. Widerlegt wird die esoterische Ideotie nicht durch seine Widerlegung, sondern indem man die Verhältnisse der Ausbeutung von Menschen durch Menschen abschafft, die es nötig macht. Oder, wie Marx an andrer Stelle geschrieben hat: \"Friede den teutonischen Urwäldern! Krieg den deutschen Zuständen!\"

La Banda Vaga, 2002

Fussnoten:\ [1] Zitiert nach: Peter Bierl, in: Stud. Sprecherrat der Universität München (Hrsg.), Ganzheitlich und ohne Sorgen in die Republik von morgen, Aschaffenburg 2001, S. 62.\ [2] Zitiert nach: Jutta Ditfurth, Feuer in die Herzen, Hamburg 1997, S. 330.\ [3] Natürlich ist jede Einteilung der Menschen in Rassen an sich schon rassistisch.\ [4] Rudolf Steiner 1888, zitiert nach Bierl, 2001, S. 39.\ [5] Rudolf Steiner, GA 349, S. 52 ff. Dieser Text strotzt nur so von Rassismus und stellt zugleich eine Steilvorlage für die deutsche Großmachtspolitik dar.\ [6] Vgl.: Colin Goldner, Dalai Lama, Fall eines Gottkönigs, Aschaffenburg 1999. Die Aum-Sekte verübte 1995 einen Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn, bei dem 12 Menschen ermordet und 500 z.T. schwer verletzt wurden.\ [7] Erich Fromm, Sozialpsychologischer Teil, in: Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 118.\ [8] Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosopie, Einleitung, MEW 1.