2007

„Es kann die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter sein" - Warum die Gewerkschaften Teil des Problems sind, nicht Teil der Lösung

17.10.2007

„Die Reallöhne in Deutschland sind so niedrig wie seit 18 Jahren nicht mehr", melden die Zeitungen. Seltsam eigentlich, denn die Gewinne der Unternehmen sind die ganzen Jahre über auf Rekordmarken gestiegen. An der Wirtschaftslage liegt es also, auch wenn das gerne behauptet wird, im Grunde nicht. Auch die Produktivitätssteigerung der Firmen müsste eigentlich dazu führen, dass immer mehr Menschen immer weniger arbeiten müssen --- während tatsächlich immer weniger Menschen immer mehr arbeiten müssen. Streiks gegen den Abbau von Arbeitsplätzen oder gegen massive Verschlechterungen von Arbeitsbedingungen gingen in den letzten Jahren fast ausnahmlos als Niederlagen zu Ende. Anscheinend waren die Beschäftigten zu schwach oder zu schlecht organisiert, um höhere Löhne durchzusetzen und einmal errungene Sozialstandards erfolgreich zu verteidigen. Aber ist die deutsche Gesellschaft nicht eine fortschrittliche Industrienation mit einem hohen Grad an gewerkschaftlicher Organisierung? Ist nicht die Aufgabe der Gewerkschaften die Organisation der Arbeiterinnen und Arbeiter im tagtäglichen Klassenkampf?

[]{.inline .inline-left}Mit Gewerkschaften sind die entsprechenden Interessenskonflikte offensichtlich nicht zu gewinnen. Vor lauter Realpolitik und Anbiederung an Wirtschaft und Staat haben sie die eigentlichen gesellschaftlichen Verhältnisse immer mehr aus dem Blick verloren. Wirtschaftliche Krisen, ob nun gesamtgesellschaftlich oder nur einen Betrieb betreffend, schreiben sie der schlechten Politik der regierenden Parteien oder dem Missmanagement der Unternehmensführungen zu. Dass Krisen aber der kapitalistischen Produktionsweise ihrem Wesen nach innewohnen kommt den Gewerkschaften nicht in den Sinn.

Indem Gewerkschaften sich auf die institutionalisierten Spielregeln der Sozialpartnerschaft und damit der ganzen herrschenden Ordnung einlassen, haben sie jeden Kampf im Grunde schon im Vorhinein verloren. Innerhalb der Spielregeln des Kapitals sind offene Kämpfe eben nicht vorgesehen. Ohne offene Kämpfe aber, ohne die Erzeugung wirtschaftlichen Schadens und handfesten materiellen Drucks auf die Gegenseite, kann eine Auseinandersetzung von Seiten der ArbeiterInnen nicht gewonnen werden. Um die Interessen der Belegschaften erfolgreich durchzusetzen, müssen Klassenkämpfe offensiv und nicht nur als leeres, handzahmes Ritual geführt werden.

[]{.inline .inline-right}Die Gewerkschaftsbürokratie aber steht für das genaue Gegenteil solcher Kämpfe. Im Streben um Anerkennung und „Gesprächsbereitschaft" ersticken die Regeln der Stellvertretungspolitik jeden Ansatz einer selbständigen Durchsetzung der eigenen Interessen. Entschlossene Kämpfe um bessere Lebensbedingungen oder die kämpferische Abwehr bevorstehender Verschlechterungen werden durch das deutsche Tarifrecht systematisch sabotiert. Das geltende Tarifrecht nämlich sieht Streiks nur in genau geregelten Ausnahmefällen, und auch dann nur in exakt vorgegebenen, eng umgrenzten Formen vor. So braucht es etwa, um einen Streik zu organisieren, eine förmliche Urabstimmung, bei der mindestens 3/4 der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder für den Streik stimmen müssen. Umgekehrt reichen zur Beendigung desselben Streiks schon 1/4 der Stimmen.

Der Streik als ein um jeden Preis zu vermeidender Ausnahmefall, den es schleunigst zu beenden gilt --- die rückläufige Lohnentwicklung der Beschäftigten verwundert da kaum. Und „wilde Streiks", als spontane Aktionen der Basis, sind im Gewerkschaftsapparat noch weniger gern gesehen. Auch das verwundert nicht: Würden die Belegschaften anfangen, sich selbst zu organisieren, wäre die Gewerkschaft als Institution blitzschnell überflüssig. Vor nichts graut es der Stellvertretung daher so sehr wie vor dem selbstbewussten und autonomen Handeln derer, die sie vertritt.

[]{.inline .inline-left}Überhaupt bleibt der Blick der Gewerkschaften strukturell beschränkt --- die Ausblendung des Schicksals der zahlreichen Arbeitslosen ist nur das augenfälligste Beispiel dafür. Auch ideologisch haben die Gewerkschaften längst den Sinn für die soziale Realität verloren. Immer noch hängen sie dem Prinzip der angeblichen „Sozialpartnerschaft" an, nach dem die Interessen der ArbeiterInnen und die Interessen des Kapitals nicht entgegengesetzt, sondern identisch seien: „Wir sitzen ja alle im selben Boot." Das war schon bei der Einführung der Sozialgesetzgebung durch Bismarck, über den Burgfrieden im Ersten Weltkrieg und die Volksgemeinschaft im Dritten Reichs bis hin zur Sozialpartnerschaft der Nachkriegszeit der Fall: Derartige Konzeptionen konnten den sozialen Frieden stets nur dadurch gewährleisten, dass sie die entsprechenden Konflikte ins gesellschaftliche Unbewusste verdrängt hatten. Die Klassenkämpfe sind dadurch nie ganz verschwunden, sie konnten nur schlechter geführt werden.

Wo der Klassengegensatz derart verschwiegen wird, erschöpft sich die Aufgabe der Gewerkschaften darin, den Preis der Ware Arbeitskraft wenigstens halbwegs stabil zu halten. Der Kapitalismus selbst, das Prinzip der Ausbeutung und Entfremdung als Ganzes, wird so nicht in Frage gestellt, sondern als scheinbar natürliche Ordnung akzeptiert. Nicht nur sind die Gewerkschaften also schlechte Freunde des Proletariats. Sie sind vielmehr ihre Feinde, die es nicht weniger zu bekämpfen gilt als das Kapital selbst, dessen Herrschaft sie aktiv reproduzieren.

[]{.inline .inline-right}Meist rechtfertigt die Gewerkschaftsführung die für die Gewerkschaftsbasis enttäuschenden Verhandlungsergebnisse der Tarifauseinandersetzungen mit Sachzwängen wie den ökonomischen Rahmenbedingungen im Betrieb, im Land oder neuerdings in der Welt. Kaschiert wird dadurch jedoch die Tatsache, dass der faule Kompromiss von der aktiven Zustimmung der FunktionärInnen lebt, ohne die er nicht abgeschlossen werden kann. Richtig ist dennoch, dass durch ein Auswechseln der FunktionärInnen keine grundlegende Änderung der Situation erreichbar ist. Das Problem liegt in der Institution Gewerkschaft selbst --- ihrem Stellvertretungsanspruch, ihrer Einbindung ins System, nicht zuletzt auch in der hierarchisch-bürokratischen Struktur, auf der sie basiert. Sie gibt sich als Anwort auf die Organisationsfrage der ArbeiterInnenklasse aus und verhindert gerade dadurch deren Selbstorganisation. Wie der Staat, der die Subjekte auf ähnliche Weise „vertritt" und damit zugleich entmündigt, sind die Gewerkschaften das Problem, als dessen Lösung sie sich ausgeben.

Immerhin regt sich immer wieder auch Widerstand gegen die Stellvertretung durch die Gewerkschaften, oder werden Kämpfe einfach an deren Institutionen vorbei geführt --- erfreuliche Zeichen der Bewusstwerdung der Arbeitenden als Klasse, die ihr Schicksal eben nur selbsttätig in die Hand nehmen kann. Als etwa im Juni 2007 bei der Berliner S-Bahn ein neues Dienstplansystem eingeführt werden sollte, das die Arbeitsbedingungen für die FahrzeugführerInnen massiv verschlechtert hätte, meldeten sich am Freitagabend spontan 50-60 FahrerInnen krank, was am Wochenende zu völligem Chaos im S-Bahnverkehr führte. Bereits am Dienstag galten wieder die alten Dienstpläne.

[]{.inline .inline-left}Auch in anderen Kämpfen der letzten Jahre blitzte hin und wieder so etwas wie eine subversive Spontaneität und Kampfkraft des Proletariats auf. In Bochum streikte im Oktober 2004 die Belegschaft der Firma Opel sechs Tage lang „wild" gegen die Kürzungspläne des Konzerns, aber auch gegen die Verhandlungstaktik der Gewerkschaften. Beim Bosch-Siemens-Haushaltsgerätewerk (BSH) in Berlin organisierten 2006 die ArbeiterInnen eigenständig das Zusammenkommen mit anderen Belegschaften und versuchten einen Austausch über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen auf die Beine zu stellen --- bis die Gewerkschaften diese Aktivitäten schließlich erfolgreich unterbanden.

Derart unabhängige Kampfformen --- hierzulande noch in den Kinderschuhen --- sind in anderen Ländern bereits sehr viel weiter verbreitet. Vor allem in Frankreich kam es in den vergangenen Jahren zu einigen spektakulären Aktivitäten, etwa bei den vielbeachteten Protesten gegen einen umstrittenen Ersteinstellungsvertrag (CPE), der schließlich zurückgenommen werden musste, oder bei den Kämpfen der Arbeitslosen-, Obdachlosen- und Papierlosenbewegung. Spektakulär waren auch die Aktionen der ChemiearbeiterInnen bei Cellatex in Givet, die zur Verhinderung der geplanten Betriebsschließung drohten, Chemikalien in einen nahe gelegenen Fluss einzuleiten, bzw. die ganze Fabrik mitsamt der darin befindlichen Chemikalien in die Luft zu sprengen. Als ein Ultimatum der ArbeiterInnen abgelaufen war, leiteten sie dann tatsächlich eine rote (aber unschädliche) Flüssigkeit in den Fluss, womit sie tatsächlich eine Wiederaufnahme der Verhandlungen erreichten.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs --- die meisten Kämpfe finden untergründig statt, jenseits medialer Aufmerksamkeit. So kam es etwa im Vorfeld des Streiks im AEG-Werk in Nürnberg 2006 zu massenhaften Krankmeldungen und Sabotageakten, die die Arbeit in der gesamten Fabrik immer wieder lahm legten. Und gerade solche Aktionsformen führen meist um einiges schneller zu Reaktionen und erzeugen um einiges mehr Druck als die tarifrechtskonformen Verhandlungstaktiken der Gewerkschaften.

[]{.inline .inline-right}Die Gewerkschaften sind, gemeinsam mit dem Rest an Vertrauen, der der Sozialdemokratie noch immer von manchen entgegengebracht wird --- sei es in Form der alten SPD oder in Form der neuen Linkspartei --- ein zentrales Hindernis erfolgreicher Klassenkämpfe. Wirkliche Verbesserungen der eigenen Lage sind mit Hilfe des institutionalisierten Spektakels der Gewerkschaften und der Parteien nicht zu haben. Um ihre Interessen wirklich durchzusetzen, müssen die Arbeitenden deshalb das Spiel der Institutionen rechts liegen lassen und stattdessen anfangen, sich radikal selbst zu organisieren.

La Banda Vaga, Oktober 2007

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21.05.2007

Seit Freitag dem 11. Mai wird bei der Deutschen Telekom, dem größten Anbieter für Telekommunikation in Europa, gestreikt. Bisher beteiligten sich bis zu 16.000 ArbeiterInnen pro Tag an den bundesweiten Streikaktionen. Zuvor hatten 96,5% der bei der Telekom Beschäftigten Verdi-Mitglieder bei der Urabstimmung für den Streik gestimmt. Doch was sind die Gründe für diesen ersten Streik seit der Privatisierung des Konzerns vor 12 Jahren?

Die Deutsche Telekom will die Servicebeschäftigten und MonteurInnen aus den Sparten Call Center, Technische Infrastruktur und Technischer Kundendienst ausgliedern. Das würde für 50.000 Beschäftigte ca. 4 Stunden mehr Arbeitszeit in der Woche und 9% weniger Lohn bedeuten. Bei den Verhandlungen zwischen dem Unternehmen und der Gewerkschaft vor der Urabstimmung zeigte sich, dass die schlechtere Bezahlung und die längeren Arbeitszeiten nicht einmal zu einer relativen Sicherheit des Arbeitsplatzes beigetragen hätten, denn das beste Angebot der Telekom war ein Kündigungsschutz von nur drei Jahren und ein genauso langer Verzicht auf den Verkauf dieser Sparten.

Es handelt sich demnach bei diesen Streiks nicht primär um einen Kampf gegen den Verlust von Arbeitsplätzen, wie bei den meisten anderen Streiks der vergangenen Jahre, sondern um einen Abwehrkampf gegen die drohende Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse. Solche Abwehrkämpfe sind auch dringend geboten, denn im Windschatten der Diskussionen über Arbeitsplatzverluste und Massenarbeitslosigkeit wurden in den vergangen Jahren die Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert. Die 345 Euro Arbeitslosengeld 2 erweisen sich als wirkungsvolle Drohung jeden noch so schlecht bezahlten Job oder auch unbezahlten Parktikumsplatz anzunehmen, für weniger Geld mehr zu arbeiten, oder auf sonstige Sonderzahlungen, wie Weihnachts- und Urlaubsgeld zu verzichten. Kein Wunder dass „unsere" Wirtschaft brummt, wenn wir zu immer schlechteren Bedingungen und für immer weniger Geld immer länger Schuften müssen.

Dass die Telekom, trotz Millionengewinne, ihre Angestellten bei niedrigerem Lohn länger arbeiten lassen will, zeigt deutlich, was ArbeiterInnen für das Kapital darstellen. Die Ideologie der Sozialen Marktwirtschaft behauptet, dass sich die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmer und das Wohl der Lohnabhängigen nicht gegenüberstehen. Aber es ist anders, in Wirklichkeit ist der Lohn der ArbeiterInnen ein Kostenfaktor, der der Gewinnmaximierung des Unternehmens im Weg steht. So ist also der Lohn für die Lohnabhängigen der Lebensunterhalt mit dem sie zurecht kommen müssen, aber gleichzeitig für das Unternehmen eine Profitschmälerung. Denn der Zweck eines Unternehmens ist nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen, wie es uns jeden Tag aus den Medien entgegenschallt, sondern die Erzielung möglichst hohen Profits.

Die einzelnen Unternehmen befinden sich im permanenten Konkurrenzkampf miteinander, deswegen müssen sie versuchen ihre jeweiligen Waren billiger als ihre Konkurrenz herzustellen und dabei Kosten zu senken. Die Unternehmen können die anderen Kostenfaktoren wie den Ölpreis oder die Höhe der Steuern nicht direkt bestimmen und so wird meistens das flexible Kapital, also der Lohn, gesenkt. Die Telekom versucht also nicht aus bösem Willen oder aufgrund der Unfähigkeit des Management die angedrohten Kürzungen durchzuziehen, sondern sie ist gezwungen, wenn sie nicht im allgemeinen Konkurrenzkampf untergehen will, die Kosten zu drücken. Diese Gesetzmäßigkeiten und deren soziale Folgen sind dem Kapitalismus immanent und keine Auswüchse à la „Raubtier- oder Turbokapitalismus". Aus diesem Grunde ist ein menschenwürdiges Leben für alle auch nur jenseits der kapitalistischen Profitlogik möglich und wir sollten endlich beginnen über eine Welt nachzudenken, in der die Bedürfnisse des Menschen an oberster Stelle stehen und nicht die geradezu zwanghaften Verwertung des Werts.

Der einzig sinnvolle Weg die angedrohten Verschlechterungen zu verhindern ist, den Machtkampf mit dem Unternehmen aufzunehmen und klar zu machen, dass der Widerstand der ArbeiterInnen soviel Kosten verursacht, dass es sich für das Unternehmen nicht mehr lohnt die Kürzungen aufrechtzuerhalten. Die Telekom hat dies erkannt und versucht den Streik durch Illegalisierung, StreikbrecherInnenprämien und dem Anwerben von LeiharbeiterInnen zu beenden. Die Versuche der Telekom den Streik zu brechen verdeutlichen allerdings nur, dass die ArbeiterInnen mit diesem auf dem richtigen Weg sind.

Nicht nur die Angestellten der Telekom sehen sich mit den Bedrohungen ihrer Lebensverhältnisse konfrontiert, auch in anderen Telekommunikationsunternehmen wie Siemens/Nokia und Arcor kämpfen die ArbeiterInnen gegen die Absichten der jeweiligen KapitalistInnen. Diese Kämpfe, die von den selben Interessen getragen sind, doch zum jetzigen Zeitpunkt noch vereinzelt und isoliert geführt werden, wären weitaus kräftiger, wenn sie solidarisch miteinander geführt würden. Nur durch praktisch gelebte Solidarität können die Auseinandersetzungen der einzelnen Gruppen die Kraft bekommen, die sie benötigen, um diese zu gewinnen. Und nur in solchen Kämpfen und in den darin ablaufenden Prozessen kann eine Vorstellung davon entstehen, wie eine Welt ohne Ausbeutung, Entfremdung und Vereinzelung möglich ist.

Schlagen wir die sozialen Angriffe zurück!

Für die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!

Aktuelle Infos zum Streik finden sich auf: ag-anti-cc.blogspot.com

Für einen revolutionären 1. Mai!

02.05.2007

Wenn die Herrschenden gesprochen haben,\ werden die Beherrschten sprechen.\ (Bertolt Brecht, Lob der Dialektik)

Spätestens seit die Gewerkschaften ihn zum konformistischen Würstchenfest verkommen ließen, ist der 1. Mai als historischer „Kampftag der ArbeiterInnenklasse" etwas aus der Mode gekommen. Er ist bestenfalls ein Symbol, eine Erinnerung an eine scheinbar längst vergangene Tradition der Kämpfe gegen kapitalistische Unterdrückung, Ausbeutung und soziales Elend - eine Erinnerung, die mit dem Verschwinden dieser Kämpfe hierzulande immer schwerer aufrechtzuerhalten ist. Aber mehr denn je ist es wichtig, diesen symbolischen Tag mit Leben zu füllen.

Noch immer leben wir im Elend des Kapitalismus, einer Gesellschaft, die darauf beruht, dass sich wenige auf Kosten vieler bereichern. Ein fast über den gesamten Globus ausgebreitetes Weltsystem, in dem wirtschaftliche Interessen über menschliche Bedürfnisse regieren, und in dem Menschen einander als Konkurrenten und Feinde gegenübertreten. Eine Gesellschaft, die von Entfremdung und sozialer Kälte beherrscht wird, in der Menschen über andere Menschen regieren, und in der die politische Ohnmacht der Individuen durch das Spektakel des Konsums und der medialen Verdummung erstickt wird. Eine Gesellschaft des materiellen Überflusses, die Tag für Tag Menschen in materielles Elend stürzt, auf die Straße setzt, ausgrenzt, abschiebt und in Gefängnisse steckt.

[]{.inline .inline-right}Der Kampf gegen diese Gesellschaft ist aktueller denn je zuvor, und er wird umso dringender, je stärker die Angriffe auf einmal erkämpfte soziale Errungenschaften zunehmen; je stärker Sozialabbau, Privatisierung und der Abbau von Freiheitsrechten fortschreiten und immer weiter auf eine totalitäre Gesellschaft der Überwachung und Barbarei hinsteuern. Immer deutlicher zeigt sich, dass diese Gesellschaft nur noch mit Gewalt und Zwang zusammengehalten werden kann, mit zunehmender Repression und polizeistaatlicher Disziplinierung.

Immer offensichtlicher wird, dass der Kapitalismus uns vor die entscheidende Wahl stellt, die Rosa Luxemburg bereits vor über 90 Jahren formuliert hatte: „Sozialismus oder Barbarei". Entweder, wir schaffen diese überkommene, 200 Jahre alte Gesellschaft endlich ab und ersetzen sie durch eine neue, bessere - oder wir werden mit ihr gemeinsam in der Barbarei des Polizeistaats, des sozialen Elends und des Krieges aller gegen alle untergehen. Doch so wie das Mittelalter eines Tages dem Siegeszug der Französischen Revolution weichen musste, so wird irgendwann auch der Kapitalismus eines Tages einer neuen Gesellschaft weichen müssen und Platz machen für eine weitere, hoffentlich bessere Epoche der Menschheitsgeschichte.

Ob diese neue Gesellschaft sich als „Sozialismus" bezeichnen wird, als „Kommunismus" oder „Anarchismus", oder ob sie einen ganz anderen Namen tragen wird, ist dabei nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass sie es schafft, anstelle des Kampfes aller gegen aller ein solidarisches Miteinander zu setzen. Dass sie es schafft, das Privateigentum an Produktionsmitteln durch die Vergesellschaftung der sozialen Prozesse zu ersetzen, und anstelle der Regierung der Mehrheit durch eine Minderheit die autonome Selbstverwaltung der Menschen zu verwirklichen. Eine Gesellschaft, in der die wichtigen Güter allen gemeinsam gehören, und in der alle gemeinsam über alle wichtigen Angelegenheiten entscheiden können; eine Gesellschaft der Freiheit und der Emanzipation, in der niemand mehr das Recht hat, andere zu unterdrücken, zu regieren oder für sich arbeiten zu lassen; eine Gesellschaft der Gleichberechtigung und der Solidarität. Eine Gesellschaft, in der es heißt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen".

Diese Gesellschaft mag heute noch eine bloße Utopie sein, aber gerade angesichts des ungeheuren technischen Fortschritts der letzten Jahrhunderte ist ihre Verwirklichung realistischer als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Und es waren immer die Utopien, die Kämpfe angetrieben und Auswege aus dem Elend der Gegenwart aufgezeigt haben. Auch deshalb soll die Tradition des 1. Mai nicht untergehen, denn sie erinnert uns daran, dass der Kampf um eine bessere Welt bereits geführt wurde, dass er Niederlagen erlitten hat, aber auch Fortschritte gemacht hat, so klein und zeitlich begrenzt diese angesichts der politischen und militärischen Übermacht des alten Regimes auch waren.

Vor allem aber zeigt uns die Tradition des 1. Mai - und die Tatsache, dass auch heute noch Menschen an diesem Tag nicht nur zum Würstchenessen auf die Straße gehen -, dass dieser Kampf noch immer nicht endgültig entschieden ist. Sorgen wir deshalb dafür, dass der Kampf diesmal nicht von den Unterdrückenden gewonnen wird, sondern von den Unterdrückten: Sorgen wir dafür, dass der Kapitalismus möglichst bald der Vergangenheit angehört.

FÜR DIE SOZIALE REVOLUTION!

FÜR DEN KOMMUNISMUS!

FÜR DIE ANARCHIE!

Häuserkämpfe sind typisch für Freiburgs südlichen Lebensstil

21.02.2007

Die Pläne des grünen Oberbürgermeisters Salomon, fast alle der rund 9000 städtischen Wohnungen Freiburgs zu privatisieren, sind vorerst am deutlichen Votum der Bevölkerung gescheitert. Bei einem durch eine Bürgerinitiative ins Leben gerufenen Bürgerentscheid sprachen sich die WählerInnen mit überwältigender Mehrheit gegen den Verkauf der Stadtbau-Wohnungen aus. Obwohl die meisten derer, die sich am Bürgerentscheid beteiligt haben, von den Verkäufen gar nicht unmittelbar betroffen gewesen wären, haben sie für die Position der Mieterinnen und Mieter der Stadtbau-Wohnungen gestimmt. Sie haben erkannt, dass sie nur gemeinsam die fortschreitende Privatisierung städtischen Eigentums auf Kosten der unteren Schichten stoppen können.

[[Leerstehender Güterbahnhof in der Neunlindenstraße]{.caption style="width: -2px;"}]{.inline .inline-right}

Mit diesem kleinen Erfolg der „Straße" gegen die etablierte Politik ist jedoch der eigentliche Konflikt nicht gewonnen. Das strukturelle Defizit der Stadt soll weiterhin zu Lasten der Armen reduziert werden. So werden die Mieten der Stadtbauwohnungen weiter steigen und die sozialen Kürzungen in nächster Zeit einen Höhepunkt erreichen. „Erwerbslose Hilfebedürftige" werden heute schon darauf hingewiesen, dass ihre Wohnung zu teuer sei und sie sich um Kostensenkung bemühen sollten. Gemeint ist damit die Aufforderung, ein Zimmer unterzuvermieten oder gleich eine andere Wohnung zu suchen, die den in Freiburg kommunal festgesetzten „Kosten der Unterkunft", also den knapp bemessenen Hartz-IV-Sätzen, entspricht.

Auch die Stadtbau-Gesellschaft, für deren Erhalt beim Bürgerentscheid gekämpft wurde, ist letztlich ein ganz gewöhnliches kapitalistisches Unternehmen, das entsprechenden Zwängen unterliegt. Bezeichnenderweise war eben sie es, die im Januar 2007 in Freiburg-Spittelacker mehrere Häuser einer Arbeitersiedlung mit Sozialwohnungen abreißen ließ, um stattdessen Eigentumswohnungen an ihre Stelle zu setzen. Es gab einen Selbstmord aus Verzweiflung, der zugehörige Abschiedsbrief war auf die Rückseite der Räumungsklage der Stadtbau geschrieben.

Doch wie sich gegen den Verkauf der Stadtbauwohnungen Widerstand regte, so regte sich auch gegen diese unsinnige Leerstands- und Abrisspolitik Widerstand, obgleich zahlenmäßig schwächer. Autonome versuchten, die Häuser zu besetzen und vor dem Abriss zu bewahren. Der Staat reagierte mit harter Repression auf diese Besetzungen. So wurden nicht nur dutzende Verfahren wegen Hausfriedensbruchs eingeleitet, sondern AktivistInnen auch brutal von der Polizei zusammengetreten. Derartige Hausbesetzungen sind keine Einzelfälle, vielmehr besitzen sie in Freiburg eine lange Tradition. Immer wieder wurde versucht --- oft mit Erfolg --- leerstehende Häuser zu besetzen und für den eigenen Gebrauch nutzbar zu machen. Oft waren Besetzungen aus der Not geboren, denn Freiburg war schon immer ein teures Pflaster.

HauseigentümerInnen erhöhen ihre Mieten immer weiter und kündigen renitenten MieterInnen kurzerhand die Wohnung. So hat beispielsweise die Südwestdeutsche Bau-Union die Mieten ihrer --- 2005 von der Stadtbau gekauften --- Wohnungen einen Monat nach dem Bürgerentscheid um teilweise bis zu 20% erhöht. Wohngruppen für psychisch Kranke, Strafentlassene, Alleinerziehende --- alles, was nicht passt, wird gekündigt und herausgedrängt. Als sich die betroffenen MieterInnen in einer „Mieterinitiative Bau-Union" zusammentaten und Beratungen im Quartierszentrum organisierten, wurden auch diese Räume von der Bau-Union gekündigt. Die Bewertungskriterien des neuen Freiburger Mietspiegels zur Berechnung der Miethöhe bieten VermieterInnen zukünftig nun auch noch weitere rechtliche Möglichkeiten zu Mieterhöhungen. Und wer letztendlich die von den Grünen anvisierte Erhöhung der Grundsteuer zahlen muss, ist auch kein Geheimnis.

Die hohen Mieten in Freiburg sind umso verwunderlicher, als es an Wohnraum in Freiburg eigentlich gar nicht fehlt. Immer wieder werden leerstehende Wohnhäuser einfach abgerissen, um die so entstehenden Grundstücke gewinnbringend verkaufen zu können. Auf dem Vaubangelände standen bis vor zwei Jahren gleich mehrere ehemalige Kasernengebäude frei, die mit wenig Aufwand in Wohnhäuser hätten umgebaut werden können. Stattdessen wurden sie --- gegen den Widerstand zahlreicher HausbesetzerInnen, die sich in einem der Häuser verbarrikadiert hatten --- abgerissen. Wie ist diese groteske Verschwendung zu erklären?

[[Leerstehendes Haus im Werderring 14]{.caption style="width: -2px;"}]{.inline .inline-left}

Die kapitalistische Verwertungslogik, die diese Gesellschaft regiert, richtet sich nicht nach den Bedürfnissen der Menschen, die unter ihrem Diktat leben. Der „Gebrauchswert" von Häusern --- das heißt die Tatsache, dass man in ihnen wohnen kann --- ist letztlich irrelevant, wenn er nicht mit einem hohen „Tauschwert" einhergeht --- das heißt, wenn er nicht zugleich Profit abwirft. Nur wer sich rentiert, darf wohnen, und wer sich die hohen Freiburger Mieten nicht leisten kann, bleibt eben auf der Straße. Die allgegenwärtige Verwertungslogik des kapitalistischen Systems macht auch vor den Grundbedürfnissen der Menschen nicht Halt.

Die Besetzenden dagegen nehmen sich die leerstehenden Häuser, ohne die juristischen EigentümerInnen --- oder gar den Staat --- um Erlaubnis zu fragen. Diese direkte Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums ist für viele die einzige Form, sich zu nehmen, was sie sich in einem System, in dem alles Geld kostet, nicht leisten können. „Die Häuser denen, die sie brauchen", lautete eine Parole der HausbesetzerInnenbewegung der 80er Jahre, die diesen Anspruch auf den Punkt bringt.

Doch hinter den Besetzungen steckt noch mehr als nur die unmittelbare Befriedigung unerfüllter Lebensbedürfnisse. Sie sind immer auch ein Angriff gegen die herrschende Logik des kapitalistischen Systems selbst. Sie ersetzen die Logik des Kapitals durch die Logik der eigenen Bedürfnisse, die Zwänge und Entsagungen der am Profit orientierten Warenwirtschaft durch eine unmittelbare Aneignung der gesellschaftlichen Produkte durch die Menschen selbst. Wenn das alle machen würden, wäre das ein mächtiger Schritt in Richtung einer längst überfälligen Überwindung des Kapitalismus und seiner menschenverachtenden Logik. Ein Schritt in Richtung einer solidarischen Gesellschaft, in der die Bedürfnisse der Menschen zur Richtschnur politischer Entscheidungen werden, und nicht die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals. Auch darum muss es heißen: Besetzt mehr Häuser!

Für die soziale Revolution!

Für den Kommunismus!

Für die Anarchie!