2004

Politik der Aneignung

18.12.2004

Dieser Redebeitrag wurde auf der Demonstration gegen Repression am 18. Dezember 2004 in Freiburg gehalten. Die Antifa Freiburg hat die Repressionswelle gegen linke Strukturen dokumentiert.

Das neue Ausmaß polizeilicher Repression in Freiburg ist für die Betroffenen tragisch und muss allein aus diesem Grund mit allen Mitteln zurückgeschlagen werden. Wir wehren uns dagegen, dass jemand bestraft wird, der oder die für eine andere Gesellschaft kämpft. Aber die Einschüchterungsversuche zeigen auch, dass die Proteste der Freiburger Linken im letzten Jahr nicht wirkungslos geblieben sind: gerade am übertriebenen Verfolgungswillen der Polizei zeigt sich, dass es für das Funktionieren des Staats nicht einerlei ist, wenn Häuser und Parteizentralen besetzt werden oder auf Flugblättern zum Schwarzfahren und Umsonstbaden aufgerufen wird. Wir sind stolz darauf, dass der Staat unsere Politik nicht dulden kann, denn seine Reaktion zeigt, dass wir einen wunden Punkt des Systems getroffen haben: die Eigentumsverhältnisse. Dass alles allen gehört und gesellschaftliche Bedürfnisse wichtiger sind als Geld, ist eben nur im Kommunismus möglich.

Wir hier in Freiburg sind nicht die einzigen, die von Repression betroffen sind, und wir sind auch nicht die einzigen, die Aktionsformen praktizieren, die den Herrschenden nicht gefallen. In allen möglichen Städten haben Leute angefangen, nicht mehr nur brav zu demonstrieren, sondern vom Reden zum Handeln überzugehen. Immer öfter wird am kapitalistischen Heiligtum namens Eigentum gerüttelt. In Hamburg, Berlin, Leipzig, Dresden, Köln und Mannheim haben sich Umsonst-Kampagnen gegründet und wird zum öffentlichen Schwarzfahren, Umsonstbaden oder Gratiskino aufgerufen. In Kassel wurden nach dem letzten Buko-Kongress im Mai Geschäfte wie H&M geplündert und die erbeuteten Sachen unter den PassantInnen verteilt. Das Motto des Kongresses lautete \"Aneignung: Das Ende der Bescheidenheit\". Worum ging es da? Zunächst ist Aneignung ein negativer Begriff: Jemand nimmt jemandem etwas weg, das ihm eigentlich nicht gehört. Im Kapitalismus heißt das vor allem: was alle angeht und alle brauchen, gehört nur einigen, die anderen müssen dafür bezahlen. Wer kein Geld hat, hat Pech gehabt. Wer sich keinen Fahrschein leisten kann, um zur Uni oder zum Ein-Euro-Job zu fahren, muss laufen oder wird bestraft. Wer kein Geld hat, kann nicht baden gehen. Das Geldprinzip reicht bis weit in die intime Lebensgestaltung hinein: Kino, Kneipe, Kultur, Essen - so ziemlich alles außerhalb des Umsonstladens in der KTS kostet Geld.

Das ist die eine Form von Aneignung: die Waren, die die Gesellschaft kollektiv produziert, werden von Privateigentümern angeeignet. In diesem Sinne hat man früher mal gesagt, dass Eigentum Diebstahl sei. Aber es gibt noch eine andere Form der Aneignung, auch die heißt leider Diebstahl: dass die Gesellschaft sich von den Privateigentümern zurücknimmt, was diese ihnen weggenommen haben. \"Expropriation der Expropriateure\", heißt das bei Marx: \"Enteignung der Enteigner\". Diese Politik der Aneignung von unten beendet den menschenunwürdigen Zustand, dass Herkunft, Geschlecht, Klassenzugehörigkeit, Einkommen oder Vermögen über die gesellschaftliche Gestaltungsmacht der Einzelnen entscheiden, und stellt stattdessen einen Zustand her, in dem alle gleichberechtigt über die sie betreffenden Belange entscheiden und am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben können. Das heißt konkret: Was allen gehören soll, wird einfach an alle verteilt. Bis das soweit ist, bleibt Aneignung nicht mehr als ein symbolischer Akt, der aufzeigen soll, dass es auch ohne Eigentum gehen kann, und symbolischer Protest gegen eine Welt, in der alles immer mehr Geld kostet, obwohl die meisten immer weniger davon haben.

Worum es aber auch geht, ist nicht nur, dass wir etwas vom Kuchen abhaben wollen. Wir wollen nicht, dass wir auch mal konsumieren dürfen, sondern wir wollen eine Gesellschaft, in der wir alle gleichberechtigt sind und Geld keine Rolle spielt. Deshalb laufen auch die meisten Umsonst-Kampagnen nicht auf persönliche Bereicherung hinaus, sondern auf Weiterverteilung an Passanten. Wir wollen nicht im kapitalistischen Spiel mitspielen, sondern wir wollen die Spielregeln ändern. Aneignung heißt darum immer auch Aneignung von Lebensverhältnissen und politische Umgestaltung der eigenen Existenz im Interesse der eigenen Existenz. Oder, wie es bei Marx heißt: \"der Kommunismus ist die Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl.\" Aneignung appelliert nicht an den Staat, besser für uns zu sorgen. Aneignung durchbricht die allgemeine Unterwerfung unter Sachzwänge und Recht und Gesetz, und ermächtigt sich selbst, das heißt alle Menschen dieser Gesellschaft, zur Selbstorganisation jenseits von Staat und Kapital. Aneignung ist deshalb auch ein Gegenentwurf zu den staatskonformen Hartz-IV-Protesten und Montagsdemonstrationen. Aneignung heißt, nicht auf parlamentarische Heilsversprechen und neue angebliche Linksparteien zu vertrauen, nicht abzuwarten und um Gnade zu betteln, sondern sich hier und jetzt die Rechte zu nehmen, die allen Menschen zustehen. Und Aneignung geht an die Wurzel des Übels, weil sie nicht irgendein oberflächliches Symptom der falschen Gesellschaft kurieren will, sondern die Ursache des Übels selbst angreift: Die Herrschaft des Privateigentums. Aber das alles ist gerade erst im Entstehen. Vielleicht ist es auch nur eine Modeerscheinung, die bald wieder unmodisch wird. Das wäre ganz im Interesse des Systems, das mit linken Modeerscheinungen bekanntlich ganz gut leben kann, vor allem wenn sie vorbei sind. Aber vielleicht ist das ganze auch mehr als ein Modeerscheinung, nämlich der Anfang einer neuen Art von Politik, die nicht mehr nur redet, analysiert und ihre Meinung kundtut, sondern die Analyse endlich auch in die Tat umsetzt.

Dem Staat jedenfalls ist schon der kleinste Versuch selbstorganisierter linksradikaler Politik ein Versuch zu viel. Den kleinsten Ungehorsam gegen die Fundamente der kapitalistischen Ordnung muss er mit Repression beantworten, damit das Übel der Anarchie nicht um sich greift. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir werden diesen Weg weitergehen. Wir werden ihn so lange weitergehen, bis endlich alles allen gehört.

ALLES FÜR ALLE!

Gegen Revanchismus, Volk und Heimat!

18.09.2004

Dieser Redebeitrag wurde auf der Kundgebung gegen den „Tag der Heimat" in Karlsruhe gehalten.

Nachdem der Anthroposoph und Bundesinnenminister Otto Schily im Mai 2002 auf dem „Sudetendeutschen Tag" in Nürnberg von Tschechien die Aufhebung der Benes-Dekrete gefordert hatte, redete er den Berufsvertriebenen ins Gewissen auf die Rückgabe ihres ehemaligen Eigentums zu verzichten und die Aufnahme Tschechiens in die EU zu unterstützen. Denn schließlich ging die Aggression gegen die Tschechoslowakei von Deutschland aus und Tschecheninnen und Tschechen gehörten zu den ersten Opfern von Vertreibungen. Die Erwähnung dieser eigentlich banalen historischen Tatsache löste allerdings bei den Anwesenden wahre Proteststürme aus. Was den Bundesinnenminister eigentlich nicht hätte verwundert müssen, denn in dieser Reaktion zeigte sich nur einmal mehr das geschichtsrevisionistische Weltbild der so genannten Vertriebenen. Es stellt sich nun also eher die Frage warum ein sozialdemokratischer Innenminister auf einer solchen Veranstaltung spricht und diese damit aufwertet.

Haben die sog. Vertriebenen immer noch eine solche Bedeutung, dass die Spitzen der Politik auf solchen Treffen auftreten müssen? Schließlich sprach auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler übrigens, im Jahr 2000 beim „Tag der Heimat" des „Bundes der Vertriebenen". Oder bedeutet die Teilnahme des politischen Führungspersonals an diesen Veranstaltungen einen aktuellen Paradigmenwechsel in der Sicht auf die deutsche Vergangenheit? Der Einfluss der Vertriebenenverbänden in der deutschen Nachkriegspolitik ist enorm: Die parlamentarische Vertretung der sog. Vertriebenen, der „Gesamtdeutsche Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" war von 1953 bis 1955 mit zwei Ministern in der Regierung Adenauer vertreten, außerdem in unzähligen Landesregierungen. Nach der Auflösung der Partei engagierten sich viele Vertriebenenfunktionäre in CDU/CSU, SPD oder FDP oder beteiligten sich direkt bei der Gründung der NPD. Von 1949 bis 1969 gab es sogar ein eigenes Vertriebenenministerium, das natürlich entsprechend besetzt war. Unter anderem mit Theodor Oberländer dem ehemaligen Parteivorsitzenden des „Gesamtdeutsche Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten", der dann später zur CDU überwechselte. Und mit dem Präsidenten des Verbandes der Landsmannschaften Hans Krüger. Beide mussten nach Diskussionen über ihre Verbrechen im Nationalsozialismus zurücktreten. Denn Oberländer war als SA-Hauptsturmführer verantwortlich für ein Massaker in der Ukraine und Krüger als NSDAP Ortsgruppenleiter in Chojinice und Richter an Sondergerichten verantwortlich für die Hinrichtung von Regimegegnern und anderen.

Aber im Laufe der Siebziger und Achtziger Jahre nahm der Einfluss der organisierten Vertriebenenverbänden doch deutlich ab. Erst der Anschluss der DDR und der Sturz des staatskapitalistischen Systems in Osteuropa eröffneten ihnen wieder neue Betätigungsmöglichkeiten. Schließlich war Deutschland jetzt von den Fesseln der Vergangenheit befreit und konnte nun wieder aggressiv seine Interessen vertreten. Dies geschieht vor allem im traditionellen deutschen Hinterhof, in Osteuropa, wo die deutsche Wirtschaft sehr schnell große Teile der Ökonomie unter ihre Kontrolle bekam. Die schwerwiegendsten Folgen hatte das deutsche Engagement auf dem Balkan, wo die traditionelle deutsche Politik der Aufsplittung von Staaten nach völkischen Kriterien mit zu den dortigen Kriegen beigetragen hat.

Auf dem Balkan zeigte sich auch die Umdeutung der deutschen Geschichte zu aktuellen machtpolitischen Interessen. Denn weil die Deutschen, im Gegensatz zu den Serben, aus der Vergangenheit gelernt hätten, wird Auschwitz zum Standortvorteil zum Führen von Angriffskriegen. Dies haben auch die organisierten Vertriebenenverbände verstanden und planen deshalb in Berlin den Bau eines „Zentrums gegen Vertreibungen", in dem neben den sog. Kosovoalbanern in erster Linie den sog. Deutschen Vertriebenen gedacht werden soll. Dieses Vorhaben reiht sich ein in eine lange Reihe von Diskussionen in den letzten Jahren, in denen die Deutschen als die wahren Opfer des 2. Weltkrieges entdeckt wurden. Günther Grass Novelle „Im Krebsgang" über den Untergang der Wilhelm Gustloff und Jörg Friedrichs Bestseller „Der Brand" über die Bombenangriffe der Alliierten auf deutsche Städte sind nur die Eisbergspitze des neuen deutschen Opferbewusstseins, das doch nichts anderes ist als die: „[...] schamlose Umwidmung der deutschen Tätergesellschaft in ein nationales Kollektiv von Opfern der Alliierten [...]", wie es Erich Später formuliert hat.

Jede sich als antifaschistisch verstehende Kritik muss sich dem entgegensetzen um die Möglichkeiten einer Gesellschaft jenseits von Volk und anderen repressiven Zwangskollektiven zu erhalten. Deshalb:

Gegen Revanchismus, Volk und Heimat!\ Die Vertriebenenverbände pulverisieren!\ Für die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!\ Für den Kommunismus! Für die Anarchie!

Ich warte jeden Montag Morgen schon auf Freitag Nacht\...

01.08.2004

Eine Kritik an den aktuellen Protesten gegen Sozialabbau

\"Wir erwarten - ebenso wie die Gewerkschaft der Polizei -, dass es zu Handgreiflichkeiten und Gewalt vor und in den Arbeitsagenturen kommt,\" meinte kürzlich Paul Saatkamp, Bundesausschussmitglied der Arbeiterwohlfahrt (AWO), in einem Interview mit der Osnabrücker Zeitung (30.07.04) auf die Frage nach möglichen Reaktionen der Betroffenen auf die Hartz-IV-Gesetze. Gewalt und Aggression? Die gibt es schon längst, und Übergriffe in den Arbeitsämtern haben sich in den letzten Jahren drastisch gehäuft. Die neuen \"Kundencenter\" reagieren darauf schon jetzt mit verstärkten Sicherheitsvorkehrungen: Trenngläser sollen die Angestellten vor Wutausbrüchen schützen, und Sicherheitsdienste sorgen, wie etwa in Chemnitz und Halle, für Ruhe und Ordnung im Behördendschungel. Ob aus den Wutausbrüchen, die AWO und Polizeigewerkschaft gleichermaßen zu befürchten scheinen, eine Massenbewegung werden könnte, bleibt freilich abzuwarten.

[]{.inline .inline-right}Auch die in den Medien derzeit vielbeachteten \"Montagsdemonstrationen\" könnten sehr schnell in harmlose Bahnen gelenkt werden, indem sie von den üblichen AnhängerInnen des sozialen Reformismus vereinnahmt werden: allen voran vom regierungsfreundlichen DGB, aber auch der staatsfixierten Organisation ATTAC und der systemkonformen PDS, die, wo immer sie selbst an Regierungen beteiligt ist, Kürzungen und Sozialabbau mitträgt. Die allwöchentlichen Proteste, deren TeilnehmerInnen sich aus der Masse der direkt oder potentiell von Hartz-IV und anderen Maßnahmen der Agenda 2010 Betroffenen rekrutieren, werden vermutlich nicht davon verschont bleiben, bald in den Genuss des typischen DGB-Demokultur-Standardprogramms - Bratwurstbuden, Fassbier, DGB-Fähnchen und Kappen - zu kommen, sodass die Unmutsbekundungen und Forderungen nach Kurskorrekturen letztendlich wahrscheinlich in - höchstens - minimale Gesetzesänderungen münden werden.

Dass sich die DGB-Gewerkschaften und andere pragmatisch-sozialreformerische Kräfte an den Protest anhängen können, ja sich an ihn heranwanzen und die aufrührerische Stimmung dadurch kanalisieren und abschwächen werden, ist besonders aufgrund des mangelnden emanzipatorischen Gehalts der Protestbewegung zu erwarten. Noch immer glauben viele an das unerfüllbare Glücksversprechen der bürgerlichen Ökonomie, die innerkapitalistische Möglichkeit eines \"Wohlstands für alle\" - ohne das System zu hinterfragen, das sie dazu zwingt, tagtäglich ihre Arbeitskraft zu Markte zu tragen, und ohne den Faktor Arbeit an sich und seine Rolle im Kapitalismus infrage zu stellen. Arbeit ist hier nicht nur ein Mittel der Ausbeutung, sondern auch ein Instrument zur Disziplinierung und Ruhigstellung der ausgebeuteten und entfremdeten Individuen. Treffend drückte es Friedrich Nietzsche aus, als er feststellte, \"dass eine solche Arbeit die beste Polizei ist, dass sie jeden im Zaume hält und die Entwicklung der Vernunft, der Begehrlichkeit, des Unabhängigkeitsgelüstes kräftig zu hindern versteht.\" Arbeit bedeutet im Kapitalismus nicht zuletzt die Entfremdung des bzw. der Arbeitenden von sich selbst. \"Sie verbraucht außerordentlich viel Nervenkraft und entzieht dieselbe dem Nachdenken, Grübeln, Träumen, Sorgen, Lieben, Hassen.\"

Hartz-IV ist ein Gesetzespaket, das durch finanziellen Druck und gesellschaftliche Ächtung des Arbeitslosenstatus die tatsächlich bzw. potentiell Betroffenen dazu nötigen soll, sich mit Hungerlöhnen und miserablen Arbeitsbedingungen abzufinden - und zugleich die Noch-ArbeitsplatzbesitzerInnen zur Dankbarkeit für ihre (Dumpinglohn-) Jobs und ständiger Hochmotivation im Arbeitsalltag erziehen. Es ist ein Krisenbewältigungsversuch des politisch-wirtschaftlichen Systems, um das Lohniveau zu drücken, die gesellschaftlichen Verhältnisse aufrechtzuerhalten und Widerstand klein zu halten.

Die Protestbewegung spielt mit ihren Forderungen dem Funktionieren des Systems in die Hände, anstatt wirkliche Kritik zu üben, wodurch nie ein Ausbrechen aus der Spirale des Kapitalismus möglich werden wird. Dieser wird, wenn überhaupt, nur so weit kritisiert, dass einzelne PolitikerInnen, Staaten oder (global agierende) Konzerne an den Pranger gestellt werden und deren Immoralität beklagt wird, anstatt dass die Menschen ihre eigene systemstabilisierende Rolle in der Warengesellschaft als KonsumentInnen und willige Arbeitskräfte hinterfragen und aufzuheben versuchen. Eine simplifizierende Argumentation im Sinne von \"böse KapitalistInnen und Regierung oben - armes, wehrloses Volk unten\" verschleiert, dass Arbeit und Kapital zwei Seiten derselben Medaille sind.

Neben einer Überwindung dieser verkürzten Kritik des Kapitalismus wären revolutionäre Formen politischer Selbstbestimmung zu praktizieren: so z.B. politische Generalstreiks auf unbestimmte Zeit, massenhafte Besetzung von Fabriken und Betrieben und ihre Überführung in ArbeiterInnenselbstverwaltung, Hausbesetzungen und konkrete Wiederaneignung von Gütern durch Kaufhausklau (der Sieg des Gebrauchswertes über den Tauschwert!).

\"Wenn wir schreiten Seit' an Seit' und die alten Lieder singen...\"

Ein weiteres Manko der \"Montagsdemos\" ist der historische Hintergrund, auf den sie sich stützen: die Zeit um 1989, die so genannte \"Wende\", als der Nationalismus der Deutschen, das Großmachtsstreben der BRD sowie das völkische Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in Ost und West keine Schranken mehr kannte, was sich nicht nur in dem immer wieder skandierten Slogan \"Wir sind ein Volk\" manifestierte. Was damals schon ein Zeichen dafür war, dass die Deutschen ihre braune Vergangenheit und das Gedenken an ihre nazistischen Verbrechen gleichermaßen in diesem Freudentaumel vergessen machen wollten und weder links noch rechts, sondern nur noch Deutsche und Deutschsein kannten, äußert sich heute darin, dass viele der montäglichen DemonstrantInnen sich erschreckenderweise kaum daran stören, wenn Neonazis ungestört mit ihnen mitmarschieren, die gleichen Schlachtrufe krakeelen und ihre unmenschliche Propaganda verbreiten. (jungle world vom 11.8.04)

Das verwundert kaum in einer Zeit, in der \"sozialer Patriotismus\" (Sigmar Gabriel, SPD) Hochkonjunktur hat; in der Arbeitgebervertreter, die stolz erklären, dass sie ausschließlich in Deutschland produzieren, in Polit-Talkshows frenetischen Applaus dafür ernten, wenn sie ihre Konkurrenten, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, als \"unpatriotisch\" geißeln; in einer Zeit, in der sich Beschäftigte bei Verhandlungen über Lohn und Arbeitsbedingungen regelmäßig über den Tisch ziehen lassen, nur damit der \"Wirtschaftsstandort Deutschland\" für Investoren attraktiv bleibt; in einer Zeit, in der sogar die Belegschaften von arbeitsplatzverlagernden Global-Unternehmen wie Siemens oder Otis mit dem schwarz-rot-goldenen Banner in die Betriebsversammlungen einmarschieren, um ihre sozial-vaterländische Gesinnung zur Schau zu stellen.

Diese Identifizierung der Individuen über ein irrationales ideologisches Konstrukt namens \"Volk\" führt zur scheinbaren Aufhebung aller Klassenwidersprüche: die Einzelnen stellen ihre persönlichen Bedürfnisse und Sehnsüchte hinter das herbeihalluzinierte \"Gemeinwohl\" einer nicht existierenden Interessengemeinschaft zurück, in der plötzlich deutsche Beschäftigte mit deutschen ArbeitgeberInnen in einem gemeinsamen Boot sitzen, in welchem nur die polnischen und türkischen ArbeitnehmerInnen nichts zu suchen haben. Aber erst, wenn alle Zwangskollektive aufgelöst sind, und die Menschen sich nicht als \"Volk\", sondern als Assoziation von freien Individuen begreifen, kann das bestehende Elend überwunden werden, und der Weg frei werden für eine klassen- und staatenlose Weltgesellschaft ohne Ausbeutung, Entfremdung, Diskriminierung und HERRschaft.

Für den rätekommunistischen Anarchismus!

30 Semester Minimum - Für Deutschland keinen Finger krumm!

01.06.2004

Und mal wieder protestieren die Studis...

Und das ist ja auch erstmal gut, denn Proteste, Demos und Streiks bieten die Möglichkeit, die scheinbar widerspruchslose Oberfläche der Gesellschaft aufzubrechen und den ewig gleichen stupiden Alltag zu stören. Aber es fragt sich doch, warum die regelmäßig wiederkehrenden Proteste der Studierenden so wirkungslos bleiben und sie von PolitikerInnen aller Parteien sogar dann noch begrüßt werden, wenn diese im gleichen Atemzug die Einführung von Studiengebühren, Eliteuniversitäten und Ähnlichem fordern.

Das liegt zum einen sicher an den nur auf Medienwirksamkeit ausgelegten, harmlosen Formen der Proteste. Denn wenn zum hundertsten Mal die Bildung zu Grabe getragen wird, die Bildung baden geht oder Vorlesungen in der Öffentlichkeit abgehalten werden, stört das die EntscheidungsträgerInnen furchtbar wenig.

Zum anderen aber liegt es vor allem an den Inhalten, die vertreten werden und die sich von denen der oben erwähnten PolitikerInnen kaum unterscheiden. Natürlich ist es richtig gegen die Einführung von Studiengebühren oder überfüllte Seminarräume und Hörsäle zu protestieren. Aber wenn der Protest dabei stehen bleibt, die individuellen Studienbedingungen verbessern zu wollen, ohne dabei die gesellschaftliche Funktion der Universität zu kritisieren, bleibt er elitär.

Denn die Zeiten als die Universität einen gewissen Freiraum bot, die die Zeit in der jede/r gezwungen wird seine Arbeitskraft zu veräußern noch etwas raus schiebt und in der mensch sich ungezwungen mit Themen beschäftigen konnte, die einen interessierten und die auch keinen positiven Nutzen für diese Gesellschaft erbringen mussten, sind lange vorbei (wenn es sie denn überhaupt jemals gegeben hat). Inzwischen sind die Unis längst ordinäre Ausbildungsorte wie die Autowerkstatt oder der Friseursalon, allerdings mit dem Unterschied, dass an der Uni keine Ausbildungsvergütung bezahlt wird, die Studis sich aber trotzdem als privilegiert ansehen, da sie hoffen, in der Zukunft bessere Berufe zu erreichen als Kfz-MechanikerIn oder Friseuse/Friseur.

Das anachronistische humboldtsche Gehabe der Studierenden und v. a. der DozentInnen ist dagegen seit Jahrzehnten reine Ideologie. Bereits 1966 schrieb die Situationistische Internationale darüber:\ „Die Fakultäten und Schulen, die noch mit vorzeitlichem Prestige dekoriert sind, sind von Akademien zur ‚Allgemeinbildung' zum Nutzen der herrschenden Klasse zu Produktionsstätten zur hastigen Aufzucht von Führungskräften unteren und mittleren Ranges geworden."

Während dies aber Mitte und Ende der Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts von den protestierenden StudentInnen noch kritisiert wurde, beschränkt sich heute die Kritik darauf, doch bitte schön solche Studienbedingungen zu schaffen, dass mensch sein Studium in schnellst möglicher Zeit beenden kann, um dann seine Arbeitskraft scheinbar privilegiert zu Markte tragen zu können.

Zugespitzt und endgültig unerträglich wird diese Position dann, wenn erklärt wird, dass \"unser Land\" keine anderen Rohstoffe hätte als sein Humankapital und deshalb die verstärkte Förderung der Bildung auch im Interesse der angerufenen PolitikerInnen sei. Dann wird, ganz abgesehen davon dass sich dadurch die Protestierenden selbst verdinglichen, der scheinbar kritische Protest endgültig zum Standortnationalismus. Dieser Affirmation der bestehenden widersinnigen Verhältnisse setzten wir die Forderung nach Abschaffung entgegen. Abschaffung der Verhältnisse, in der Menschen gezwungen sind ihre Arbeitskraft zu verkaufen und sich nur in Warenkategorien begegnen können. Konkret bedeutet dies die Abschaffung der Universität, der Arbeit, des Kapitals, des Staates...

Für die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!\ Für den Kommunismus! Für die Anarchie!

ps.\ Im Mai 2005 machten wir eine Diskussionsveranstaltung zur gesellschaftliche Rolle der Studierenden im Kapitalismus und zur Analyse der Form der vergangenen Studiproteste. Den Vortragstext haben wir zusammen mit einem Vorwort, einem Flugblatt von GewerbeschülerInnen zum Studistreik 1997 und diesem Flugblatt als Broschüre herausgegeben und kann hier gelesen bzw. heruntergeladen werden.

Vorwort zu Erich Mühsam - Alle Macht den Räten

01.02.2004

\"Alle Macht den Räten\" - diese Parole steht nicht nur für die russische Oktoberrevolution, sondern auch exemplarisch für jenen antiautoritären Flügel der ArbeiterInnenbewegung, der sich eine befreite Gesellschaft (und auch den Weg dorthin) niemals als Diktatur einer Partei vorstellen wollte, sondern als \"Assoziation der Freien und Gleichen\", frei von jeglichen Hierarchien. Ob AnarchistInnen oder RätekommunistInnen, die befreite Gesellschaft war immer mit der Idee einer Organisation derselben von unten nach oben verbunden. Entscheidungen sollen gleichberechtigt und nur von jenen getroffen werden, die wirklich betroffen sind. Die Räte, eigentlich nichts anderes als Plena und DelegiertInnentreffen, sind Strukturen, welche die Organisation des Kommunismus als \"staaten- und klassenlose Weltgesellschaft\" ermöglichen.

Etwas altmodisch aus heutiger Sicht erscheint, dass Mühsam die Räte als \"Repräsentation der Arbeit\" sieht und folglich die \"Organisation [der Gesellschaft] von den Arbeitsstätten und Arbeitsbeziehungen aus\" will, statt der Organisation (auch der Produktion) aus dem unmittelbaren Lebenszusammenhang heraus. Dass in den Räten (nur) die \"gesamte [...] arbeitende Bevölkerung [...] zusammengeschlossen\" sei, steht auch in einem gewissen Gegensatz zur Parole \"Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.\" Immerhin weist Mühsam darauf hin, wie schwer es sein wird, die auf kapitalistische Verwertung ausgerichtete Produktion auf die Bedürnisbefriedigung umzustellen: wozu sicherlich gehören muss, diese für die einzelnen Produzenten so angenehm wie möglich zu gestalten. Arbeit, als \"die Plackerei, wie die Vergangenheit sie einzig kennt\" (Horkheimer) wird es so dann hoffentlich nicht mehrgeben.

Um die Umgestaltung der Produktion in einer Revolution zu ermöglichen, schlägt Mühsam vor, statistische Erhebungen über die gegenseitige Versorgung oder Rohstoffbeschaffung zu erstellen. Sicherlich kann es zu bedeutenden Problemen kommen, beispielsweise die Nahrungsmittelversorgung während der Revolution oder der Austausch zwischen Menschen in der \"3. Welt\" und Menschen hier. Auch hätten derartige Pläne möglicherweise eine gewisse Mobilisierungskraft bei jenen, die \"das Funktionieren\" einer freien Gesellschaft bezweifeln. Andererseits ist es aber unmöglich, die Bedürfnisse der Menschen einfach autoritär festzulegen, und konkrete Vorhersagen über eine befreite Gesellschaft sind durchaus fragwürdig, schließlich können \"alle derartigen Versuche [...] immer nur auf die Richtung hinweisen, in der Freiheit und Sozialismus liegt.\"

In Russland mussten die Bolschewiken während der Oktoberrevolution die Parole \"Alle Macht den Räten\" aufgreifen, sie haben sie aber schnell durch ihr despotisches \"Alle Macht der Partei\" ersetzt. Der Aufstand der Petrograder ArbeiterInnen und der Matrosen in Kronstadt 1921 war der letzte große Versuch, die Revolution zu retten, doch er wurde von Trotzkis Truppen blutig niedergeschlagen. Heute jedoch, lange nach dem Zusammenbruch dieses staatskapitalistischen Ostens und dem daraufhin ausgerufenen \"Ende der Geschichte\", hat die Idee der Räte nicht an Aktualität verloren, denn die kapitalistische Welt ist keineswegs annehmbarer geworden.

Für den Kommunismus! Für die Anarchie!

La Banda Vaga, Frühling 2004

Siehe auch: Alle Macht den Räten von Erich Mühsam.