2003

Offener Brief an die VeranstalterInnen des Ska-P Konzerts

10.12.2003

Wir dokumentieren hier einen offenen Brief an die VeranstalterInnen des Ska-P Konzerts am 13.12.2003 im E-Werk in Freiburg, der neben La Banda Vaga auch von der Antifa Freiburg, KTS, Initiative Sozialistisches Forum (ISF), einigen Redaktionsmitglieder der Stattzeitung für Südbaden und Virginia Edwards-Menz unterzeichnet wurde.

Sehr geehrte VeranstalterInnen,

laut eures Programms soll am 13.12. ein Konzert mit der spanischen Band Ska-P stattfinden. Ein Mitglied unserer Gruppe, das spanisch spricht, wies uns im Plenum auf den Text \"Intifada\" aus dem Jahr 2000 hin, der eindeutig antisemitische Denkmuster enthält. Wir möchten dem E-Werk nicht Antisemitismus unterstellen und gehen davon aus, dass ihr euch, als ihr die Gruppe eingeladen habt, über den Inhalt dieses Textes nicht klar wart. Im Anhang haben wir eine eigens vorgenommene deutsche Übersetzung beigefügt. Ein weiteres Mitglied erzählte uns von einem Festival im Frühsommer diesen Jahres in Straßburg, bei dem der Sänger der Band durch die von ihm initiierten Intifada-Sprechchöre und antiisraelische Reden unangenehm aufgefallen ist.

Besonders klar ersichtlich an diesem Text ist die Täter-Opfer-Verkehrung und der Umgang mit dem Holocaust. Gemeinsam mit der Band soll der Hörer \"aus der Geschichte lernen\". Die Opfer, also die getöteten Juden, seien zu Henkern geworden, zu \"Imperialisten\" und \"Faschisten\", denn \"alles hat sich verkehrt\", die Juden sind \"wiedereinmal ohne jede Vernunft\". Warum sind sie wiedereinmal ohne Vernunft? Weil sie in \"palästinensischen Gebieten\" siedeln? Weil sie aus Europa geflüchtet sind? Oder sind Juden generell \"ohne Vernunft\"? Die Staatsgründung Israels 1948 war eine Reaktion auf die Shoah.

Im Weiteren heißt es, dass \"aus David Goliath\" geworden sei. David waren also vor der Verkehrung die Juden, Goliath die Nazis. Wenn David zu Goliath wird, werden im logischen Umkehrschluss Juden zu Nazis. Mit der Schlussfeststellung \"Palästina leidet unter dem schlimmsten aller Kriege\", kann das nur bedeuten, dass der Holocaust relativiert wird, was in Israel/Palästina passiert, sei \"am schlimmsten\". So sind die Juden nicht zu Nazis geworden, sie sind noch schlimmer. Dem Holocaust wird hier also nur eine Alibifunktion zugeschrieben. Generell dient den Antisemiten, wie jüngst Hohmann von der CDU in seiner Rede bewies, die Verkehrung von Juden als Opfern zu Juden als Tätern als Legitimation ihrer Hetzreden.

Der Sänger behauptet, er \"verurteile lediglich Leid, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch\", kann diesen jedoch nur auf israelischer Seite feststellen. Das Leid und das Unrecht, welches den Opfern von Selbstmordattentätern widerfährt, lässt er vollkommen außer Acht - die Attentate finden sicher nicht mit \"Steinen\" statt. Die \"Intifada\" sieht er als \"Befreiung\" - von wem sich da befreit werden soll, wird im Text klar, vom \"Juden\", und so ist der Vernichtungswille klar artikuliert.

Sonderbar ist auch, dass sich der Songschreiber als Atheist beschreibt und gleichzeitig eine islamistisch dominierte Intifada unterstützt. Diese wird außerdem nicht nur von den Palästinensern getragen, sondern auch von den meisten umliegenden arabischen Ländern. Daher geht es nicht nur um Israel und Palästina, sondern um den Nahostkonflikt.

Summiert man die Adjektive, welche der Autor für Israel verwendet, ergibt sich klar das gängige antisemitische Stereotyp: der raffgierige, reiche, mächtige, global agierende Finanzjude (siehe: imperialistisch, reich, mächtig, arrogant).

Aufgrund eines solchen Textes werdet ihr sicher verstehen, dass wir von euch die sofortige Absage dieses Konzerts, sowie eine Stellungnahme fordern. Eine Abschrift dieses Briefes werden wir an die \"Badische Zeitung\" schicken.

La Banda Vaga, Antifa Freiburg, KTS, Initiative Sozialistisches Forum (ISF), einige Redaktionsmitglieder der Stattzeitung für Südbaden und Virginia Edwards-Menz

Dokumentation: Intifada von Ska-P\ \ Sechs Millionen Juden wurden grausam vernichtet,\ ein imperialistischer Massenmord, von faschistischen Armeen ausgeführt.\ Wir müssen aus der Geschichte lernen.\ Die Opfer sind zu Henkern geworden, alles hat sich verkehrt.\ Sie siedeln in palästinensischen Gebieten, wiedereinmal ohne jede Vernunft.\ \ \ Tote, Tote, in wessen Namen?\ Tote, Tote, in Jahwes Israel\ Tote, Tote, in wessen Namen?\ Tote, Tote, in Jahwes Israel\ \ \ Was würdest du tun, wenn sie dich aus deinem Haus vertrieben,\ ohne das Recht sich zu beschweren,\ auf deiner Kultur herumtrampelten, dich im Wahnsinn zurückließen, ohne jede Würde?\ Palästina leidet unter dem Reichtum Israels im Exil,\ einer arroganten und mächtigen Regierung,\ die sich auf den Krieg gegen du-weißt-schon-wen vorbereitet.\ \ \ Steine gegen Gewehre, eine neue Intifada in Transjordanien, Gaza oder Jerusalem\ \ \ Wer hätte gedacht,\ dass aus David Goliath werden könnte?\ \ \ Intifada, Befreiung!\ Versteht mich nicht falsch, ich bin Atheist, glaube an gar keinen Gott.\ Ich bewerte Menschen nicht nach Rasse, Kultur oder ihrer Scheißreligion.\ Ich verurteile lediglich Leid, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch.\ Palästina leidet unter dem schlimmsten aller Kriege, dem Reichtum Israels.

Uns ist leider ein Übersetzungsfehler unterlaufen, \"de mas terca des las guerras\" heißt nicht \"der schlimmste aller Kriege\", sondern der \"der stureste Krieg\". Der antisemitische Gehalt des Liedes bleibt allerdings gleich.

Badische Zeitung berichtete:\ Uncle Sam mit der Sense - Ska-P spielten im E-Werk

Ganz die Freiburger Linie, könnte man meinen: Da gibt eine schwer anarchistische Band ein Konzert und hat einen Song namens \"Intifada\" im Programm, der sich gegen die israelische Besatzungspolitik richtet. Der Text enthält bei aller Plakativität zur Klarstellung gleich eine Zeile, in der man sich rechtfertigt, Menschen nicht nach ihrer Religion zu beurteilen und mit Antisemitismus nichts am Hut zu haben. Und dann trifft im Vorfeld natürlich dennoch prompt ein \"Offener Brief\" linker Gruppierungen von Antifa bis KTS mit ebendiesem Vorwurf ein und fordert eine sofortige Absage des Konzertes. Darauf sind die Veranstalter des E-Werks zum Glück aus zwei Gründen nicht eingegangen: Zum einen wäre den 1000 Besuchern der ausverkauften Veranstaltung ein erstklassiger, energiegeladener Abend entgangen. Und zum anderen wäre dies nur ein weiterer trauriger Tiefpunkt einer hier zu Lande völlig verfahrenen, nur noch reflexhaft geführten Debatte gewesen. Wer selbst eine Band wie Ska-P, die Gewalt ablehnt, sofort mit Antisemitismus-Bann belegt, verharmlost dadurch letztlich die wirklich bedenklichen Fälle.

Doch zurück zur Musik: Ohne (bislang) große Medienpräsenz, aber mit schweißtreibenden Konzerten und erstklassigen Platten hat sich die Band aus Vallecas, einem durch seinen Widerstand während Francos Diktatur bekannt gewordenen Arbeiterviertel in Madrid, eine Fangemeinde erspielt, die sehr treu ist - und auffallend jung. Eigentlich nahe liegend, denn in dieser Altersgruppe hat man meist eine besondere Affinität zu kompromisslosen Parolen gegen Krieg, Todesstrafe, Fleischkonsum, Kapitalismus - und zudem die nötige Kondition, ein komplettes Ska-P-Konzert durchzustehen.

Denn im voll gepackten E-Werk wurde mit solcher Leidenschaft Pogo getanzt, auf den Händen der Konzertbesucher durch die Menge gesurft und die Faust in den Himmel gereckt, dass die Luft teils zu dick zum Atmen war. Weiter aufgeheizt wurde die Stimmung durch die zahlreichen Verkleidungen von Background-Sänger Pipi, der schon mal als mit Sense bewaffneter Uncle Sam auf Stelzen über die Bühne stolzierte. Subtilität, man merkt es langsam, ist zumindest in den Aussagen die Sache der Band nicht. Musikalisch sieht es da schon anders aus: Während für die nicht ganz so knochenharten Ska-Fans die meisten Genrevertreter auf Dauer arg gleichförmig klingen, mischen Ska-P die charakteristischen Bläsersätze mit Rock, Folk, Punk - und unglaublich guten Melodien. Da mag man ansonsten auch etwas differenziertere Standpunkte bevorzugen, für zwei Stunden wird man dennoch gerne zum kompromisslosen Anarchisten - wenn damit schon ein so hoher Spaßfaktor verbunden ist.

Stefan Rother\ Quelle: Badische Zeitung vom Mittwoch, 17. Dezember 2003

Kein Rederecht für Antisemiten! Verhindern wir den Vortrag von Jamal Karsli bei der Burschenschaft Saxo-Silesia!

01.11.2003

Die Burschen machen mal wieder Programm - organisiert wie eh und je. Da gibt's freitags Fisch, den Rest der Woche pauken und saufen, Planspiele und Referate als Propaganda nach innen und außen. Freiheit gewähren sie im Sinne von Freibier und Junger Freiheit. Frauen sind für sie nur eine Fußnote, doch ist immer ein Zimmer frei. Dafür müssen sie kein Haus besetzen, die Seilschaft lebt und gedeiht, in Neusprech heißt das „umgekehrter Generationenvertrag".\ Sie sind der militante Arm der Justiz, Politik und Industrie. Nur mühsam kaschieren sie ihre Forderung nach einer deutschen Vormachtsstellung in Europa und üben bis dahin täglich den bewaffneten Kampf:\ „Unabhängig von den staatlichen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland tritt der Schwarze Verband für die freie Entfaltung deutschen Volkstums in enger Verbundenheit aller Teile des deutschen Volkes in einem einigen Europa der Gemeinschaft freier Völker ein. Die Burschenschaften des Schwarzen Verbandes bekennen sich zum Prinzip der Bestimmungsmensur und fordern von ihren Mitgliedern die Pflichtmensur ein."\ Quelle: http:/www.buschenschaft-saxo-silesia.de/html/schwarzer_verband.htm

Am Donnerstag haben die Burschen den Antisemiten Jamal Karsli eingeladen. Jenen fraktionslosen Landtagsabgeordneten aus NRW, der bei den Grünen rausflog, weil er sich mit Saddam Hussein solidarisierte, der Israel \"Nazimethoden\" vorwarf und von der zionistischen Weltverschwörung faselte.\ Quelle: http://www.antifaschistische-nachrichten.de/2002/11/karsli.php

Nach dem tiefen Fall seines Beschützers Möllemann bei der FDP hat Karsli, jetzt als fraktionsloser Märtyrer seine eigene Partei gegründet:\ „Die Partei soll sozialliberal, interkulturell, multireligiös, freidenkend und vor allem deutsch sein. Jeder soll seine Meinung sagen können, ohne angegriffen zu werden."\ Quelle: http://www.wdr.de/themen/politik/nrw/karsli/eigene_partei.jhtml\ Das ist traditioneller deutscher Zynismus wie er den Burschen gefällt. Möllemann meidet seit seinem letzten Besuch Freiburg, sorgen wir dafür, dass Karsli das in Zukunft auch tut!

Auf_zur Saxo-Silesia! (Kapellenweg 4,79100 Freiburg)\ Treffpunkt in der KTS (www.kts-freiburg.org)\ am Donnerstag, den 6.11.2003 um 19:00Uhr

www.labandavaga.de

Total Klasse

02.07.2003

Dieser Beitrag erschien in der Disko \"Was tun?\" der Jungle World (Nr. 28, 2. Juli 2003).

Der Vorteil der \"neuen Linken\" war und ist sicherlich die Inschutznahme des Individuums und des Genusses vor dem Getöse jeglicher Zwangskollektive. Aus der Tradition der Arbeiterbewegung bietet sich der Begriff der \"Klasse\" als emanzipatorisches Kollektiv an. Nur ist der Bezug auf dererlei Kategorien mittlerweile , wenn auch nicht falsch, zumindest aber strategisch ungeschickt. Zu groß wäre die Gefahr, in alte und überwundene Raster zurückzufallen.

Stattdessen könnte man das Individuum bzw. seine Konfrontation mit dem totalitären Alltag zum Initiationspunkt des Kampfes machen. Max Horkheimer schrieb 1940 in \"Autoritärer Staat\": \"Mit der Erfahrung, dass ihr politischer Wille durch die Veränderung der Gesellschaft wirklich ihr eigenes Dasein verändert, wird die Apathie der Massen verschwunden sein.\"

Konkret hieße das, dass jeder sein direktes Umfeld nach Zwängen durchsucht, die ja meist schon verinnerlicht sind, und gegen diese aufbegehrt, anstatt dann und wann gönnerhaft mit der IG Metall mitzulatschen. Der Umsturz der Verhältnisse ist mehr als eine Soliaktion.

Würde jeder Linke sein Geschäft gewissenhaft betreiben, wäre jeder Tag an der Uni, jeder Gang zum Arbeitsamt, jedes Vegetieren im Job und jede andere Erniedrigung und Widerwärtigkeit, zu denen auch die Agenda 2010 gehört, ein Eroberungsplatz der Freiheit.

Im Laufe dieses Kampfes ergäben sich auch Strukturen, welche am Ziel orientiert und deshalb umso effektiver wären. Die historische Antwort ist das alte, aber umso modernere Konzept der Rätebewegung, deren Gedanken es wiederzubeleben gilt und welche sich schon am Anfang des vorigen Jahrhunderts für das Individuum schlug.

Der Kampf kann aber nur antiautoritär, d.h. nur gegen den Staat und die ihn konstituierenden Organisationen wie Parteien oder Gewerkschaften geführt werden, um zu einem Zustand zu kommen, \"worin sich die Bewegung und die Auflösung der ganzen Scheiße auflöst\". (Marx-Engels-Werke 32, S. 75)

La Banda Vaga, 2003

¡ Que se vayan todos !

26.04.2003

Alle (Politiker, Funktionäre, etc.) sollen abhauen. So lautet die Parole des seit mehr als einem Jahr anhaltenden Aufstandes in Argentinien, denn all' die Bürokraten und Direktoren sind die Apparatschiks des Systems, welches sich nur durch Rationalisierung und Krieg, d.h. durch Menschenverachtung und Unmündigkeit, konservieren lässt. Der Zusammenbruch der Wirtschaft dieses sogenannten Schwellenlandes macht deutlich, dass die immerwährende kapitalistische Krise nun auch vor den Vorzeigeselbstausbeutern und damit Hoffnungsträgern der nachholenden Entwicklung nicht halt macht. Nachdem schon lange kein denkender Mensch mehr an das wirtschaftliche Wachstum der Länder der \"Dritten Welt\" glaubt, vegetiert somit folgerichtig der größte Teil der Weltbevölkerung außerhalb der kapitalistischen Verwertung vor sich hin. Nun hat die Krise der vergangenen Jahre aber in erster Linie die Staaten betroffen, die als \"Schwellenländer\" vorgeblich vor dem Anschluss in die vordere Garde der Industrienationen standen. Argentinien, Indonesien und die Türkei sind nur drei Beispiele für eine ganze Reihe von Ländern, deren Ökonomien zusammengebrochen sind. Ebendort steigt gleichzeitig die Zahl der nationalistischen und religiösen Fundamentalisten genauso in die Höhe wie die stacheldrahtgesäumten Mauern, die die Villenburgen der Oligarchen vor der Masse der Nutzlosen schützen sollen. In Sorge um das Weiterbestehen des kapitalistischen Welttheaters (das leider nur Tragödien aufführt) und in Angst um die Liquidität der Absatzmärkte der führenden Industrienationen, gewähren die dem gesamtkapitalistischen Interesse verpflichteten Institutionen IWF und Weltbank Kredite, die selbstverständlich an Bedingungen gekoppelt sind. Diese verlangen, Staat und Produktion durch Rationalisierung rentabel zu machen und so den realexistierenden Kapitalismus in voller Blüte zu entfalten.

Nichtsdestotrotz hat die Krise nun auch die Metropolen erreicht: Die USA etwa sind so hoch verschuldet, dass im Vergleich dazu die DDR in ihrer Endphase geradezu als wirtschaftliche Supermacht erscheinen könnte. Nur die militärische Macht der Vereinigten Staaten garantiert noch die Zahlungsfähigkeit.

Als exportabhängige und auf konsumwillige Bürger angewiesene Nation bleibt auch Deutschland von der auseinanderbrechenden Entwicklung des Kapitalismus nicht verschont. Nur wird die Lage aufgrund des spezifischen Charakters der deutschen Gesellschaft besonders prekär und damit, wie hier üblich, für alles \"nicht-deutsche\" gefährlich: Die deutsche Gesellschaft ist keine klassisch kapitalistische mit den offenen Gegenspielern Arbeit und Kapital, sondern es herrscht seit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung eine Art dauerhafter Burgfriede. Arbeit und Kapital werden mit dem Band \"Staat\" bzw. \"Nation\" fest verschnürt. Der eigentlich unüberbrückbare Interessenskonflikt wird an die höhere Autorität, das Allgemeinwohl, hier repräsentiert durch den Staat, delegiert und aufgelöst. Dieser ist wiederum allgegenwärtig: Er schützt die Unternehmer im Ausland (als Deutschland-AG tritt die deutsche Wirtschaft im Ausland geschlossen und untereinander loyal auf) wie im Inland (der Staat gibt Kredite und bewahrt die Wirtschaft durch die Verfasstheit des Tarifsystems vor ungelegenen und zu freiheitlichen Ansprüchen der Arbeiter). Auch die Beschäftigten werden versorgt: So ist Deutschland gegen jeden Zuzug hermetisch abgeriegelt; die Ausbeutung der 240.000 osteuropäischen Saisonarbeiter ist durch eine eigene Behörde, die Zentrale Arbeitsvermittlung (ZAV) so verwaltet, dass eine eventuelle Integration oder Migration der Arbeitsuchenden von vornherein ausgeschlossen wird und die Ausgebeuteten nach dem Verkauf ihrer Arbeitskraft staatlich kontrolliert wieder außer Landes gekarrt werden.Den Gewerkschaften kommt die Funktion zu, jeden Widerstand autoritär zu verwalten und in systemkonforme Bahnen zu lenken. Um im Kapitalismus aufblühen zu können, stimmten die Arbeitervertretungen dem Kuhhandel \"Freizeit für Freiheit\" zu: So sind die Gewerkschaften durch das Tarifsystem vollends entmündigt (politische Streiks sind verboten). Die einzigen Forderungen, die sie stellen dürfen, lauten: \"Mehr Lohn und weniger Arbeitszeit\". Nichts davon kratzt auch nur im Entferntesten an dem unfassbaren Zustand von Ausbeutung und Beherrschung.

Ganz im Gegenteil, die Tarifkonflikte werden immer im Bezug auf das Wohl der sogenannten Allgemeinheit entschieden. Was als \"Rheinischer Kapitalismus\", Korporatismus oder \"Formierte Gesellschaft\" bezeichnet wird, hat einer der Erneuerer dieses Systems, Ludwig Erhard, mit seinen Think Tanks so formuliert: \"Wir brauchen die verpflichtende Hingabe an das Staatsganze\" oder \"Das Sozialsystem der Formierten Gesellschaft ist nur zu schaffen, wenn der labile Status Quo durchorganisiert und rationalisiert wird, wobei seine Teilhaber des Egoismus zu entwöhnen und einer starken Disziplinierung zu unterwerfen sind.\" Jeder rackert sich im Zweifelsfall für das abstrakte Ziel des Gemeinwohls ab und die staatliche Autorität mit ihren Regeln und Gesetzen werden die höchste nur denkbare Instanz. Im Gegenzug wird man vor dem Fremden & Anderen und in Notlagen vor der Armut geschützt und es etabliert sich von Seiten der Bürger ein masochistisch/devotes und autoritätsabhängiges Zwangsverhältnis zum Staat. Folge einer solchen Gesellschaft ist eine hinterfotzige Denunziationslüsternheit (\"Mein Nachbar kassiert Sozikohle und arbeitet dazu noch schwarz!\") und eine widerliche Staatsstreberei (\"Die Ampel ist rot!\"), gepaart mit einem verlogenen, vor sich hergetragenen und selbstgerechten Gutmenschentum (\"Bei uns in Deutschland kann man gar nicht verhungern.\").

Neben der Heranzüchtung ganzer Generationen autoritärer und nach Führung gierender Charaktere, ist das gefährliche an dieser Gesellschaft aber, dass sie auf wirtschaftliches Wachstum angewiesen ist. Es muss immer etwas da sein, was den Arbeitnehmern als Abfertigungs- und Sättigungsbrocken hingeworfen werden kann. Die Untertanen verlieren die seit jeher vom Staat garantierte soziale Sicherheit oder erleben ihr Wegbrechen bei anderen. Um das auseinanderfallende Sozialgefüge zu verkraften, wird auf den verinnerlichten Bezugspunkt, die Identität, die Arbeit und Kapital eint, gepocht. Gefunden wird die scheinbar gemeinsame kulturelle Abstammung, d. h. letztendlich nichts anderes als die gemeinsame \"Rasse\". So entpuppt sich die Sozialpartnerschaft als nur notgedrungen \"entnazifizierte\" Form der Volksgemeinschaft in der postfaschistischen Gesellschaft. In Deutschland, wo der Staat sich offiziell nicht für die Aufrechterhaltung der Trennung zwischen Herrschenden und Ausgebeuteten einsetzt, sondern für das moralische Allgemeinwohl, dort wird in Krisenzeiten dann auch nicht ordinärkapitalistisch um neue Märkte, sondern für die Moral gekämpft, d.h. gegen all die, die ums Verrecken nicht zur deutschen Allgemeinheit gelten dürfen. Der Schritt zur Verfolgung innerer Feinde und Volkszersetzern wie Juden, Roma und Sinti, Querdenkern, Obdachlosen und allem, was als irgend anders halluziniert wird, ist ein kleiner.

Nun hat die Technologisierung die Arbeiter anstatt der Arbeit überflüssig gemacht, was in Deutschland durch die real 7,2 Mio Arbeitslosen seinen Niederschlag findet. Keine Regierung könnte die Zahl vermindern, wollte sie nicht über Staatsintervention nach NS-Vorbild für einen neuen Weltkrieg rüsten. Stattdessen wird versucht, die Arbeitslosen zu disziplinieren, indem immer weiter soziale Leistungen abgebaut werden. Zweck des Ganzen ist die Modernisierung des korporatistischen \"Modells Deutschlands\", um jenes so lange über die Runden zu bringen, bis die schon akribisch geplante, (Kosovo-Afghanistan-Irak) räuberische Expansion mit Europa im Gepäck auch militärisch und diplomatisch endlich machbar ist. Diverse Kommissionen wie Hartz oder Rürup arbeiten daran, den Staat des \"welfare\" (Wohlfahrtsstaat) in einen des \"workfare\" umzuwandeln. Nur wer arbeitet, soll auch essen. Dabei handelt es sich nicht nur um pure Zwangsarbeit, die den Reichtum der Ausbeuter mehren soll, sondern zumeist um eine stupide Zwangsbeschäftigung, in der die Erpressten ihre kostbare Zeit mit stumpfsinnigem Grashalmspitzenschneiden verschwenden müssen. Man sieht, dass hier nur Arbeit um ihrer selbst Willen getätigt wird. Nach der Maxime \"Arbeit schafft Wert, also ist nur der etwas wert, der arbeitet\" erweist sich die Plackerei für den kapitalistischen Denker als unabdingbares Moment einer jeden normalen Existenz. Die Finanznot des Staates wird vom Bund an die Länder und Kommunen nach unten weitergegeben, so dass viele deutsche Städte eigentlich Konkurs anmelden müssten. Auf allen Ebenen werden ständig neue Sparpakete geschnürt, die in erster Linie immer die sozial Schwachen und andere Randgruppen treffen. Ebenso könnte der Papst die Slumbewohner zur Askese auffordern, damit diese wirklich selig würden. Demnach sehen die Pläne des Freiburger Bürgermeisteramtes Einschnitte beim Arbeitslosenpass, bei der Straßenbahnermäßigung für Einkommensschwache, für die Geschäftsstelle der Sinti und Roma, bei Kinderstätten in Problemvierteln und vieles mehr vor.

Die Krise ist im Kapitalismus Normalzustand. Alle Zeiten, in denen das System angeblich funktionierte, waren Aufräum- und Aufbauperioden nach imperialistischen Raubzügen, makroökonomischer überproduktionsvernichtung in Form von Kriegen oder der eben deutschen Krisenlösungsstrategie, wie sie im Nationalsozialismus exerziert wurde. Es ist notwendig und zudem vollkommen logisch, die immer und immer wieder auseinanderdriftende Gesellschaftskonstitution nicht ebenso ständig zwanghaft in irgendwelchen Kollektiven mit irgendeiner Systematik oder Ideologie bis zur Versteinerung aneinanderketten zu wollen, sondern in der Dekonstruktion der alten auch das Hervorschimmern der wahren, freien Gesellschaft zu erkennen. Der Kommunismus ist eine Ordnung, nach welcher die Erde das Gemeingut aller Menschen sein, nach welcher jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten, \"produzieren\", und jeder nach seinen Kräften genießen, \"konsumieren\", soll; die Kommunisten wollen also die ganze alte gesellschaftliche Organisation einreißen und eine völlig neue an ihre Stelle setzen. Dass dann aber, an der alten, gänzlich verfaulten Gesellschaftsordnung zu flicken und zu übertünchen, Zeitverschwendung ist, wird jeder vernünftige Mensch leicht erkennen. Wir wollen, dass die Menschen die Dinge, die sie betreffen, von Grund auf selbst bestimmen können, wie dies ansatzweise in den Nachbarschaftsversammlungen in Argentinien verwirklicht ist.

Für eine staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!\ Alle Macht den Räten!

La Banda Vaga, 2003

Antwort an Klaus von der Stattzeitung

01.03.2003

Klaus Schramm von der Stattzeitung schrieb uns eine Kritik an unserem Text \"Krieg dem deutschen Frieden\", auf der Homepage der Stattzeitung nachzulesen. Hier findet sich hingegen unsere Antwort.

Hallo lieber Kritiker,

vielen Dank für Deine Reaktion auf unseren Text. Wir freuen uns immer wenn sich jemand mit unseren Veröffentlichungen auseinandersetzt und steigen gerne in eine Diskussion ein. Wie es bei einer basisdemokratischen Gruppe üblich ist, dauern auch bei uns die Antworten seine Zeit, deshalb bitten wir um Nachsicht.

Nun zum Inhaltlichen: Wir gehen, wie wohl die ganze Welt, von der Unabwendbarkeit eines Irak-Krieges aus und empfinden es deshalb als sehr gewagte Aussage, wenn Du schreibst, dass es zu keinem Krieg gegen den Irak kommen wird. Also wir würden auf das Gegenteil wetten. Vielleicht um einen Bio-Roquefort?

Zur These 1:

Das die Europäisierung des Militärs leider nicht nur Geschwätz ist, wird sich wahrscheinlich schon dieses Jahr zeigen, wenn die globalagierende EU-Eingreiftruppe aufgestellt sein wird. Wichtige Schritte in diese Richtung sind bereits unternommen, wie z.B. die multinationalen Brigaden (etwa die dtsch-franz. In Müllheim) Und auch größtenteils realisiert ist schon die Europäisierung der Rüstungsindustrie, die auf Betreiben der angeblich so machtlosen Nationalstaaten, explizit als Konkurrenz zur Rüstungsindustrie der USA, wenn auch noch weit entfernt davon, zur European Aeronautic Defense and Space Company (EADS) zusammen geschlossen wurde. Zur weiteren Analyse der EU-Militärpolitik verweisen wir auf unsere Homepage (www.labandavaga.de), wo sich weitere Texte dazu finden. Die Auseinandersetzungen zwischen der EU und den USA auf anderen Gebieten, die wir ironisch an den Handelskriegen um Roquefort und Bananen festgemacht haben, lassen sich fast beliebig erweitern. Von Differenzen um Hormonfleisch, genetisch veränderte Lebensmittel, Stahlzölle, generelle Agrarsubventionen, das Klimaabkommen von Kyoto, der Menschenrechtsgerichtshof etc. etc. etc. Anhand dieser empirisch belegbaren Interessensgegensätze zwischen der EU und den USA lässt sich auch die These der Globalisierungsgegner widerlegen, Nationalstaaten spielten in der sog. Globalisierung keine Rolle mehr. Mitnichten gibt es \"nur noch ein internationales Kapital\", schließlich hat selbst der multinationalste Konzern immer noch irgendwo seinen Sitz (und zwar meistens in den Metropolen, wo der starke Staat die notwendige Sicherheit gewähren kann) und seine Fabriken, schließlich gibt es auch zwischen \"Multis\" Konkurrenz und auch Biolandbetriebe sind kapitalistische Betriebe, in denen es nur um Mehrwert und sonst nichts geht. Das Geschwätz von den Regierungen als Agenturen und Vasallen (wahlweise des nationalen oder \"globalen\" Kapitals) ignoriert, dass der Staat wie seit eh und je notwendig ist, um die \"allgemeinen Geschäftsbedingungen\" des Kapitalismus bereit zu stellen. Dazu gehört die Sicherung von Privateigentum oder das allgemein anerkannte Rechtsverhältnis etc. genauso wie die notwendige Reproduktion des \"freien Arbeiters\", was der Staat ggf. auch gegen Angriffe einzelner Kapitalisten zu verteidigen hat. Die Verschiebung zu einem immer globaleren Agieren der Wirtschaft hat eher die Folge, dass sich die Konkurrenz zwischen den Staaten teilweise zu einer Konkurrenz der Standorte transformiert. Gerade in Zeiten allgemeiner wirtschaftlicher Krise verstärken sich nationalistische Tendenzen und die Konkurrenz zwischen den Standorten. Und besonders im neokorporatistisch organisierten Postfaschismus in Deutschland ist die These vom \"Absterben der Nationalstaaten\" reine Ideologie und zeigt nur, dass Sozialdemokraten wie attac mit ihren etatistischen Forderungen von der Totalität kapitalistischer Vergesellschaftung nichts verstanden haben und deshalb alles Übel in der, scheinbar \"staatsfreien\" Zirkulationssphäre suchen müssen.

Zu These 2:

Allerdings, jedes Freund-Feind-Schema ist blöd, jedoch ist gerade die Friedensbewegung anfällig dafür, wie all die Solidarisierungen mit dem Irak zeigen: der Feind meines Feindes ist mein Freund? Nebenbei sei noch darauf hingewiesen, dass wir bei der Beschreibung des permanenten Kriegszustandes im Irak nicht vom Embargo, sondern vom Terror des Regimes gegen die eigene Bevölkerung gesprochen haben. Aber auch sonst ist die Friedensbewegung \"blöd\", auch unabhängig von der Begeisterung für die neue \"Speerspitze der Bewegung\" (so Bütikofer über die Grünen). Zu auffällig ist der Aufschrei, sobald die USA Krieg führen wollen, während doch die Bewegung zu Zeiten der Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien marginal war. Heute kritisieren alle, wie sehr die US-Gesellschaft auf den Krieg eingepeitscht wird, aber wie sehr haben all diese \"Kritiker\" und Friedensfreunde zum Krieg gegen jenen neugefundenen \"Hitler\" in Belgrad gehetzt und damit immerhin den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 ermöglicht. Damit stehen all jene objektiv für die Militärisierung der deutschen Politik und für ein immer aggressiveres Vertreten der deutschen Interessen.

An der Parole \"Der Hauptfeind steht im eigenen Land\" halten wir auch weiterhin fest, denn, trotz aller Krise ist die Konkurrenz zwischen den Staaten, mit aller begleitenden Ideologie, eine der herausragenden Stärken des Kapitalismus. Denn so wird es leicht, alles schlechte auf \"die böse USA\" zu projizieren und die (als Alternative vorgestellte) Politik Europas zu affirmieren. Natürlich kann das falsche Bestehende nur international abgeschafft werden, solange aber keine weltweite revolutionäre Bewegung in Sicht ist, ist der Hauptfeind notwendig im eigenen Land.

Mit rätekommunistisch/anarchistischen Grüßen\ La Banda Vaga